Dauerkarten Verkauf über EBAY – Keine Haftung des Account-Inhabers

  1. Bei einem Verkauf über ein EBAY-Konto ist nicht zwingend der Rückschluss zu ziehen, dass der Kaufvertrag mit dem Account-Inhaber zustande gekommen ist.

  2. Die Beweislast dafür, dass mit dem Account-Inhaber ein Vertrag mit den hieraus resultierenden Rechten und Pflichten zustande gekommen ist, trägt der Käufer.

  3. Für die Tatsache, dass eine über ein bestimmtes Mitgliedskonto abgegebene Willenserklärung von dem Kontoinhaber abgegeben worden ist, spricht auch kein Anscheinsbeweis, da es an einem für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderlichen typischen Geschehensablauf fehlt.

  4. Für eine Zurechnung des Verhaltens eines Dritten ist auch nicht ausreichen, dass der Account-Inhaber die Zugangsdaten nicht sicher verwahrt bzw. geschützt hat.

  5. Wer eine nicht aktuelle Dauerkarte veräußert, muss darauf hinweisen, dass es sich bei der Dauerkarte nicht um einer Karte handelt, die dauerhaft gültig ist.

Leitsatz Rechtsanwalt Kiunka, Fachanwalt für IT- und Strafrecht, Bielefeld

 

Landgericht Tübingen

Beschluss vom 23. Januar 2013

Aktenzeichen: 1 T 102/12

In Sachen

… (Name) … (Anschrift

– Kläger / Beschwerdegegner –

Prozessbevollmächtigter: …

gegen

– Beklagte / Beschwerdeführer –

Prozessbevollmächtigter zu 1 und 2:

Rechtanwälte Rudolph, Heydemann und Kiunka, Gustav-Radbruch-Straße 7, 32423 Minden

wegen Prozesskostenhilfe

hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen durch Richterin am Arbeitsgericht Fuhrmann als Einzelrichterin

beschlossen:

1.

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts Bad Urach vom … (Datum) dahingehend abgeändert, dass der Beklagte Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 für die Rechtsverteidigung im erstinstanzlichen Verfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt … bewilligt wird. Die Beiordnung erfolgt zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts.

2.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten Ziffer 2/Beschwerdeführer Ziffer 2 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Urach vom … (Datum) wird demgegenüber zurückgewiesen

Gründe:

I.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Urach vom … (Datum), mit welchem (u.a.) der Antrag der Beklagten Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zurückgewiesen wurde, ist gemäß §§ 127, 569 ZPO zulässig und hat die Sache auch Erfolg.

 

Gemäß § 114 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussichten bietet die Rechtsverteidigung gegen eine Klage dann, wenn entweder die Klage unschlüssig ist oder das Gericht den Rechtsstandpunkt der sich gegen die Klage verteidigenden Partei aufgrund ihrer Sachdarstellung und der etwaig vorhandenen Unterlagen mindestens für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung  überzeugt ist (BGH, NJW 1994, 1161; OLG Köln NJW-RR 2001, 791). Es muss aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringen wird (Zöller-Geimer, ZPO-Kommentar, 28. Auflage, § 114 Rn. 19); im Falle der Rechtsverteidigung gegen eine Klage muss also eine Klagabweisung – ggf. nach einer Beweiserhebung – ernsthaft in Betragt kommen. Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht Überspannt werden; ausreichend sind „hinreichende“ Erfolgsaussichten (Zöller-Geimer a.a.O.).

 

Die Rechtsverteidigung der Beklagten Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 stellt sich auf Grundlage einer summarischen Überprüfung des wechselseitigen Vorbringens und der vorgelegten Unterlagen als „hinreichend“ erfolgsversprechend dar.

 

Der Rechtsverteidigung ist allerdings nicht bereits deshalb Aussicht auf Erfolg zu bescheiden, weil die Klage beim örtlich unzuständigen Gericht erhoben worden wäre. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts, die sich das Beschwerdegericht zu eigen macht, Bezug genommen.

 

In der Sache kommt jedoch nach Aktenlage in Bezug auf die Beklage Ziffer 1 eine Klagabweisung ernsthaft in Betracht, bestehen mithin „hinreichende“ Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung.

 

Wenngleich davon auszugehen ist, dass der streitgegenständliche Kaufvertrag über das … (Verkaufsgegenstand)  und die Dauerkarte über das Ebay-Konto der Beklagten Ziffer 1 abgewickelt wurde, so vermag hieraus nicht zwingend der Rückschluss gezogen zu werden, der Kaufvertrag wäre mit der Beklagten Ziffer 1 zustande gekommen und diese hätte, vertreten durch den Beklagten Ziffer 2, gegen ihre vorvertraglichen Aufklärungspflichten verstoßen. Die Beweislast dafür, dass mit der Beklagten Ziffer 1 ein Vertrag mit den hieraus resultierenden Rechten und Pflichten zustande gekommen ist, trägt der Kläger, da er Ansprüche aus diesem Vertrag herleiten will. Dementsprechend muss der Kläger beweisen, dass das elektronische Internetangebot von derjenigen abgegeben worden ist, deren Name oder Passwort – hier also der Beklagten Ziffer 1 – verwandt worden ist bzw. dass diese rechtswirksam durch einen Dritten – den Beklagten Ziffer 2 – vertreten worden ist, da er aus der Erklärung Rechte ableiten will. Beweis dafür, dass das Kaufvertragsangebot von der Beklagten Ziffer 1 stammt bzw. diese den Beklagten Ziffer 2 entsprechend bevollmächtigt hat, hat der Kläger nicht angetreten. Für die Tatsache, dass eine über ein bestimmtes Mitgliedskonto abgegebene Willenserklärung von dem jeweiligen Kontoinhaber abgegeben worden ist, spricht auch kein Anscheinsbeweis, da es an einem für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderlichen typischen Geschehensablauf fehlt. Der Sicherheitsstandard im Internet ist derzeit nicht ausreichend, um aus der Verwendung eines bestimmten Kontos und dessen Passworts auf denjenigen als Verwender zu schließen, dem dieses Konto bzw. Passwort zugeteilt worden ist. Auch aus der Tatsache, dass die Beklagte Ziffer 1 selbst angegeben hat, dass ihr Sohn … (Vorname) das Geschäft wohl auf ihren Namen gemacht habe, ergibt sich nichts anders im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast. Indem die Beklagte Ziffer 1 den tatsächlichen Nutzer und Anbietenden angegeben hat, ist sie der ihr jedenfalls obliegenden sekundären Darlegungslast nachgekommen (vgl. hierzu Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21.06.2012 – 3 U 1/12).

 

Auch eine Haftung aus Rechtsscheingesichtspunkten ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Eine Duldungsvollmacht der Beklagten Ziffer 1 kann nicht allein deshalb angenommen werden, weil die Beklagte Ziffer 1 eingeräumt hat, von dem Geschäft ihres Sohnes zu wissen. Denn dieses Wissen kann die Beklagte Ziffer 1 auch nach Durchführung des Geschäftes, was sie auch ausdrücklich vorgetragen hat, erlangt haben. Dass die Beklagte Ziffer 1 einen bestimmten Duldungstatbestand geschaffen hätte, ist damit nicht ersichtlich. Auch die Voraussetzung einer Anscheinsvollmacht sind nicht hinreichend dargetan. Eine Anscheinsvollmacht ist gegeben, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und wen der Geschäftspartner annehmen durfte, der Vertretene kenne und billige das Handeln des Vertreters. Die Rechtsgrundsätze der Anscheinsvollmacht greifen in der Regel nur ein, wenn das Verhalten des einen Teils, aus dem der Geschäftsgegner auf die Bevollmächtigung des Dritten glaubt, schließen zu können, von einer gewissen Dauer und Häufigkeit ist. Bei einem mit einer Identitätstäuschung verbundenen Handeln unter fremdem Namen ist bei der Anwendung dieser Grundsätzlich auf das Verhalten des Namensträgers abzustellen. Vorliegend fehlt es bereits an einem Vortrag des Klägers zur Erkennbarkeit des Missbrauchs durch die Beklagten Ziffer 1 bzw. der Möglichkeit der Verhinderung. Schließlich scheidet eine Anscheinsvollmacht deswegen aus, da der Kläger nicht vorgetragen hat, dass es weitere missbräuchliche Nutzungen des eBay-Accounts von Seiten des Beklagten Ziffer 2 gegeben habe, so dass es auch deshalb an einem vom Beklagten geschaffenen Vertrauenstatbestand fehlt.

 

Nach der Grundsatzentscheidung des BGH (Urteil vom 11.05.2011 – VIII ZR 289/09) würde es für eine Zurechnung des Verhaltens des Beklagten Ziffer 2 auch nicht ausreichen, dass die Beklagte Ziffer 1 ihre Zugangsdaten nicht sicher verwahrt bzw. geschützt hätte, was vom Kläger aber schon nicht behauptet wurde. Ausdrücklich hat der BGH eine Übertragung der im Bereich der deliktischen Haftung entwickelten Grundsätze auf die Zurechnung einer unter unbefugter Nutzung eines Mitgliedskonto von einem Dritten abgegebenen rechtsgeschäftlichen Erklärung abgelehnt.

 

Die Verteidigung der Beklagten Ziffer 1 gegen einen Anspruch aus Vertrag, dessen Voraussetzungen der Kläger darzulegen und zu beweisen hat, die jedoch schon nicht schlüssig dargetan sind (womit eine Zurückweisung des Vortrags der Beklagten Ziffer 1, die von Anfang an einen eigenen Vertragsschluss auch in Vertretung bestritten hat, als verspätet ausscheidet), verspricht danach hinreichend Aussicht auf Erfolg. Entsprechendes gilt, soweit der Anspruch auf Delikt gestützt wird. Auch insoweit fehlt es an einem hinreichenden Tatsachenvortrag des Klägers, wonach davon ausgegangen werden könnte, dass die Handlungen des Beklagten Ziffer 2 mit Wissen und Wollen der Beklagte Ziffer 1 erfolgt sind, die Beklagten also in Mittäterschaft gehandelt haben. Ganz im Gegenteil hat die Beklagte Ziffer 1 mit Schriftsatz vom 19.04.2012, in welchem ausgeführt wird, dass ihr Sohn … (Beklagte Ziffer 2) das Geschäft wohl auf den Namen Beklagte Ziffer 1 gemacht habe, dies aber, ohne dass dies die Beklagte Ziffer 1 mitbekommen habe, dies ausdrücklich bestritten. Etwas anderes vermag weder aus einer bloßen telefonischen Behauptung des Klägervertreters hergeleitet zu werden noch ist ersichtlich, dass eine Mittäterschaft oder Mitwisserschaft von Anfang an anlässlich des Telefonats zwischen Beklagter Ziffer 1 und dem zuständigen Richter eingeräumt worden wäre.

 

Im Ergebnis hat danach die Rechtsverteidigung der Beklagten Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 gegen den Klageanspruch hinreichend Aussicht auf Erfolg, weshalb, da die Beklagte Ziffer 1 aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, für die Kosten der Rechtsverteidigung aufzukommen, in Abweichungen zum Beschluss des Amtsgericht Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen war.

 

Demgegenüber hat die sofortige Beschwerde des Beklagten Ziffer 2 gegen den Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten Ziffer 2 zurückweisenden Beschluss des Amtsgericht Bad Urach keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zu Recht mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung zurückgewiesen.

 

Der Beklagte Ziffer 2 hat mit Schriftsatz vom 19.04.2012, seinerzeit anwaltlich noch nicht vertreten, eingeräumt, „nur“ das BVB Buch verkauft zu haben, nicht jedoch eine Dauerkarte. Die Dauerkarte habe es vielmehr als Geschenk dazu gegeben, weil es Viele gebe, die so etwas sammelten. Der Vertragsausschluss selbst wurde danach vom Beklagten Ziffer 2 eingeräumt.

 

Auch die Beklagte Ziffer 1 hat mit Schriftsatz ebenfalls vom 19.04.2012 vorgetragen, ihr Sohn habe das Geschäft wohl auf ihren Namen gemacht.

 

Insoweit ist zu Lasten des Beklagten Ziffer 2 davon auszugehen, dass der Vertrag mit ihm, auch wenn er unter fremdem Namen gehandelt hat, zustande gekommen ist. Soweit dies vom Beklagten Ziffer 2 nachfolgend wieder bestritten worden ist, hat das Amtsgericht zu Recht ausgeführt, dass dieses Bestreiten angesichts der vorausgegangenen Erklärungen beider Beklagten, wonach der Verkauf durch den Beklagten Ziffer 2 erfolgt ist, unbeachtlich ist. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Beklagte Ziffer 2 den Vertragsschluss selbst zunächst eingeräumt hat, um sodann die Vertragspartnerschaft zu leugnen. Soweit er – möglicherweise – nur bestreiten wollte, dass der Text, wie er aus Anlage K 4 hervorgeht, nicht von ihm stamme, so ist dieses Bestreiten unsubstanziiert. Da es der Beklagte Ziffer 2 war, der das BVB-Meisterbuch zum Kauf angeboten hat. In seiner unsubstanziierten Form ist das Bestreiten des Beklagten Ziffer 2 unbeachtlich.

 

Was die Auslegung des danach – dies ist der Entscheidung zugrunde zu legen – vom Beklagten Ziffer 2 auf der Internetplattform „ebay“ eingestellten Angebotstext betrifft, so teilt das Beschwerdegericht insoweit voll und ganz die wohl begründete Auffassung des Amtsgericht und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf dessen Ausführungen im angegriffenen Beschluss. Es hätte dem Beklagten Ziffer 2 im Rahmen seiner vorvertraglichen Pflichten oblegen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Dauerkarte – ungeachtet des insoweit verwirrenden Angebotstextes, der auf der Gegenteiliges hindeutet – nicht um einer Karte handelt, die dauerhaft gültig ist. Diese Pflicht bestand erst recht aufgrund der Anfrage des Klägers per Email, ob es sich bei der Dauerkarte um eine solche handele, die in dieser Spielzeit gilt oder erst ab der nächsten Saison. Hierdurch wurde das Verständnis des Klägers vom Inhalt dessen, was seiner Meinung nach versteigert werden sollte, hinreichend deutlich, wobei dieses Verständnis vom Wortlaut des Angebotstextes getragen wird. Dies spätestens hätte den Beklagten Ziffer 2 veranlassen müssen, den tatsächlichen Verkaufsgegenstand zu erläutern, was er jedoch pflichtwidrig unterlassen hat. Folge des Aufklärungspflichtverstoßes des Beklagten Ziffer 2 ist ein Schadenersatzanspruch des Klägers, der darauf gerichtet ist, so gestellt zu werden, wir der Kläger stehen würde, wenn der Beklagte Ziffer 2 seiner Aufklärungspflicht nachgekommen wäre. In diesem Falle hätte der Kläger, dies ist zweifelsfrei, das BVB-Meisterbuch nebst Dauerkarte nicht ersteigert, es wäre also nicht zum Kauf gekommen. Der Schadenersatzanspruch des Klägers ist danach auf Rückabwicklung des Kaufvertrages ausgerichtet, der durch den zuletzt angekündigten Antrag (Zug um Zug) auch hinreichend zum Tragen kommt. Losgelöst davon, ob auch ein deliktischer Anspruch des Klägers gegen ist, was deshalb offen bleiben kann, hat danach die Rechtsverteidigung des Beklagten Ziffer 2 auf eine Grundlage seines bisherigen Verteidigungsvorbringens keine Aussicht auf Erfolg.

 

Sein Prozesskostenhilfeantrag wurde deshalb zu Recht mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung zurückgewiesen.

 

Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst.

Rechtsbeschwerde, Entbindung vom persönlichen Erscheinen, keine Verwerfung

Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluss vom 11.07.2017, Az. 2 Ss OWi 174/17

 

Nach erfolgter Entbindung vom persönlichen Erscheinen darf der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid vom Gericht nicht verworfen werden.

Leitsatz Rechtsanwalt Kiunka, Fachanwalt für IT-, Straf- und Verkehrsrecht

 

In der Bußgeldsache

gegen

XXX

Verteidiger: Rechtsanwalt Matthias Kiunka, Gustav-Radbruch-Straße 7, 32423 Minden,

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat das Oberlandesgericht Oldenburg (Oldenburg) durch den Richter am Oberlandesgericht XXX am 11.07.2017 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 28.04.2017 wird zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das vorbezeichnete Urteil des Amtsgerichts aufgehoben. Die Sache wird zu erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Osnabrück zurückverwiesen.

Gründe:

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht einen Einspruch des Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid des Landkreises Osnabrück vom 09.12.2016, durch den gegen den Betroffenen eine Geld-buße in Höhe von 100,– Euro festgesetzt worden ist, verworfen, da der Betroffene ohne Entschuldigung im Termin ausgeblieben sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hält den Antrag für begründet.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, da das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt worden ist.

Die Rüge ist in zulässiger Weise ausgeführt worden.

Das Amtsgericht hat danach bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass es den Betroffenen mit Beschluss vom 06.04.2017 antragsgemäß von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden hatte.

Soweit das OLG Düsseldorf mit Beschluss von 04.04.2011 (VI-3 RBs 52/11 juris) und das OLG Brandenburg (VRS127, 38 f.) eine Rüge dann für unzulässig halten, wenn der Betroffene nicht geltend mache, welche sachliche Einlassung unberücksichtigt geblieben sei, folgt der Senat dem nicht.

Gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht einen Betroffenen auf dessen Antrag von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Das bedeutet, dass dem Entbindungsantrag eine Stellungnahme des Betroffenen vorausgegangen sein muss und sei es auch, dass diese darin besteht, sich nicht zu äußern. Insofern ist die Situation auch nicht mit derjenigen vergleichbar, in der eine rechtsfehlerhaft unterbliebene Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gerügt wird. Im letztgenannten Fall, bei dem eine Entscheidung über die Entbindung nicht getroffen oder der Antrag abgelehnt worden ist, lässt sich ohne weitere Ausführungen nicht beurteilen, ob überhaupt eine Äußerung des Betroffenen vorliegt, die rechtsfehlerhaft unberücksichtigt geblieben sein könnte. In einem Fall, in dem Entbindungsantrag stattgegeben worden ist, muss eine derartige Äußerung jedoch erfolgt sein. Eben diese Äußerung würde dadurch, dass ein Verwerfungsurteil erlassen wird, nicht berücksichtigt. Auch im Falle der Erklärung des Betroffenen, keine Angaben zur Sache machen zu wollen, liegt die Verletzung rechtlichen Gehörs darin, dass das Amts-gericht diese Erklärung nicht in der Zusammenschau mit dem übrigen Ergebnis der durchzuführenden Hauptverhandlung gewertet hat.

Im Übrigen wäre es ein Wertungswiderspruch, wenn in der Begründung des Zulassungsantrages die Mitteilung einer Einlassung verlangt würde, obwohl des Amtsgericht durch die Entbindung des Betroffenen zu erkennen gegeben hat, dass seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichts-punkte nicht erforderlich ist, das Gericht somit zu einer Sachentscheidung auch ohne den Betroffenen kommen werde und diese Sachentscheidung – von der der Betroffene ausgehen durfte- durch ein fehlerhaftes Übersehen der erfolgten Entbindung nicht erfolgt.

Da das Amtsgericht tatsächlich die erfolgte Entbindung vom persönlichen Erscheinen nicht beachtet und den Einspruch verworfen hat, war die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die sich aus diesem Grunde auch als begründet erweist. Dass auch der Verteidiger nicht zum Termin erschienen war, rechtfertigt die Verwerfung ebenfalls nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 09.03.2010, 2 SsRs 38/10 m.w.N.).

Die Sache war daher an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Trotz der Abweichung dieses Beschlusses von den Entscheidungen des OLG Düsseldorf und des OLG Brandenburg kommt eine Übertragung auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern nicht in Betracht (vgl. BGH Beschluss vom 14.09.2004 -4 StR 62/04 juris) und deshalb auch keine Vorlage zum Bundesgerichtshof (vgl. BGH Beschluss vom 28.07.1998 – 4 StR 166/98 juris).

Strafschärfende Verurteilung wegen einschlägiger Vorstrafe – Rechtsmittel – § 46 Abs. 2 StGB

Vor Gericht werden immer wieder Angeklagte zu einer erhöhten Strafe verurteilt, weil der Richter Vorstrafen strafschärfend berücksichtigt hat.

1.Einschlägige Vorstrafe

Was ist unter einer einschlägigen Vorstrafe zu verstehen?

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die vorherige Verhängung einer Strafe dann strafschärfend ins Gewicht fällt, wenn die Notwendigkeit spezialpräventiv auf den Täter einzuwirken erhöht ist, weil dieser die mit früheren Verurteilungen gesetzten Warnungen und Hemmschwellen außer Acht gelassen hat.

Der Hintergrund einer höheren Strafe ist somit, dass dieser eine erhöhte Warnfunktion im Hinblick auf die erneute Tatbegehung zugeschrieben wird.

2.Nicht jede Vorverurteilung kann berücksichtigt werden

Wann kann eine Strafe wegen einer Vorverurteilung erhöht werden?

So kann die mehrfache Begehung von Äußerungsdelikten mit der gleichen Stoßrichtung unproblematisch als einschlägig betrachtet werden. Ob es sich hierbei nun um eine Beleidigung oder eine Volksverhetzung handelt, ist soweit unerheblich. Problematisch ist die Strafschärfung allerdings dann, wenn die Delikte nur einen Ausschnitt aus den durch die Tatbestandsüberschrift erfassten Lebenssachverhalten darstellen. In diesen Fällen muss der Begriff der einschlägigen Vorverurteilung nämlich enger verstanden werden.

3.Rechtsmittel gegen Verurteilung wegen einschlägiger Vorstrafe

Zuweilen erfolgt eine Verurteilung wegen einer einschlägigen Vorstrafe zu Unrecht. Damit ein Revisionsgericht eine entsprechende Verurteilung überprüfen kann, muss in der Regel der der Vorverurteilung zugrunde liegende Sachverhalt aussagekräftig im Urteil mitgeteilt werden.

So hat das Oberlandesgericht Köln im Beschluss vom 02.06.2017, Az. III-1 RVs 117/17, das Urteil des Amtsgerichts Euskirchen aufgehoben, weil das Gericht den Begründunganforderungen nicht nachgekommen ist. Im zugrunde liegenden Fall war der Angeklagte mehr als 30 Jahre wegen Verkehrsstraftaten in Erscheinung getreten. Das Amtsgericht hatte den Angeklagten hatte die Vortaten als einschlägige Vorstrafen strafschärfend berücksichtigt. Das Oberlandesgericht bemängelte, dass seit der letzten Trunkenheitsfahrt mehr als 8 Jahre vergangen seien und eine strafschärfende Berücksichtigung wegen der Vorstrafen ausführlicher hätte begründet werden müssen.

4.Erfolgschancen des Rechtsmittels – Revision

Dem zuvor geschilderten Sachverhalt kann entnommen werden, dass eine Überprüfung des Urteils bei strafschärfender Berücksichtigung so genannter einschlägiger Vorstrafen durchaus lohnenswert sein kann. Viele Gerichte sind schlicht überlastet, so dass sich auch immer wieder Fehler bei der Urteilsbegründung einschleichen oder aber Vorstrafen schlicht zu Unrecht strafschärfend berücksichtig werden.

Als Fachanwalt für Strafrecht berate ich Sie gern bei der Überprüfung Ihres Urteils. Bitte beachten Sie allerdings die Rechtsmittelfristen.