Rechtsbeschwerde, Entbindung vom persönlichen Erscheinen, keine Verwerfung
Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluss vom 11.07.2017, Az. 2 Ss OWi 174/17
Nach erfolgter Entbindung vom persönlichen Erscheinen darf der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid vom Gericht nicht verworfen werden.
Leitsatz Rechtsanwalt Kiunka, Fachanwalt für IT-, Straf- und Verkehrsrecht
In der Bußgeldsache
gegen
XXX
Verteidiger: Rechtsanwalt Matthias Kiunka, Gustav-Radbruch-Straße 7, 32423 Minden,
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat das Oberlandesgericht Oldenburg (Oldenburg) durch den Richter am Oberlandesgericht XXX am 11.07.2017 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 28.04.2017 wird zugelassen.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das vorbezeichnete Urteil des Amtsgerichts aufgehoben. Die Sache wird zu erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Osnabrück zurückverwiesen.
Gründe:
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht einen Einspruch des Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid des Landkreises Osnabrück vom 09.12.2016, durch den gegen den Betroffenen eine Geld-buße in Höhe von 100,– Euro festgesetzt worden ist, verworfen, da der Betroffene ohne Entschuldigung im Termin ausgeblieben sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.
Die Generalstaatsanwaltschaft hält den Antrag für begründet.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, da das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt worden ist.
Die Rüge ist in zulässiger Weise ausgeführt worden.
Das Amtsgericht hat danach bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass es den Betroffenen mit Beschluss vom 06.04.2017 antragsgemäß von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden hatte.
Soweit das OLG Düsseldorf mit Beschluss von 04.04.2011 (VI-3 RBs 52/11 juris) und das OLG Brandenburg (VRS127, 38 f.) eine Rüge dann für unzulässig halten, wenn der Betroffene nicht geltend mache, welche sachliche Einlassung unberücksichtigt geblieben sei, folgt der Senat dem nicht.
Gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht einen Betroffenen auf dessen Antrag von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Das bedeutet, dass dem Entbindungsantrag eine Stellungnahme des Betroffenen vorausgegangen sein muss und sei es auch, dass diese darin besteht, sich nicht zu äußern. Insofern ist die Situation auch nicht mit derjenigen vergleichbar, in der eine rechtsfehlerhaft unterbliebene Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gerügt wird. Im letztgenannten Fall, bei dem eine Entscheidung über die Entbindung nicht getroffen oder der Antrag abgelehnt worden ist, lässt sich ohne weitere Ausführungen nicht beurteilen, ob überhaupt eine Äußerung des Betroffenen vorliegt, die rechtsfehlerhaft unberücksichtigt geblieben sein könnte. In einem Fall, in dem Entbindungsantrag stattgegeben worden ist, muss eine derartige Äußerung jedoch erfolgt sein. Eben diese Äußerung würde dadurch, dass ein Verwerfungsurteil erlassen wird, nicht berücksichtigt. Auch im Falle der Erklärung des Betroffenen, keine Angaben zur Sache machen zu wollen, liegt die Verletzung rechtlichen Gehörs darin, dass das Amts-gericht diese Erklärung nicht in der Zusammenschau mit dem übrigen Ergebnis der durchzuführenden Hauptverhandlung gewertet hat.
Im Übrigen wäre es ein Wertungswiderspruch, wenn in der Begründung des Zulassungsantrages die Mitteilung einer Einlassung verlangt würde, obwohl des Amtsgericht durch die Entbindung des Betroffenen zu erkennen gegeben hat, dass seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichts-punkte nicht erforderlich ist, das Gericht somit zu einer Sachentscheidung auch ohne den Betroffenen kommen werde und diese Sachentscheidung – von der der Betroffene ausgehen durfte- durch ein fehlerhaftes Übersehen der erfolgten Entbindung nicht erfolgt.
Da das Amtsgericht tatsächlich die erfolgte Entbindung vom persönlichen Erscheinen nicht beachtet und den Einspruch verworfen hat, war die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die sich aus diesem Grunde auch als begründet erweist. Dass auch der Verteidiger nicht zum Termin erschienen war, rechtfertigt die Verwerfung ebenfalls nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 09.03.2010, 2 SsRs 38/10 m.w.N.).
Die Sache war daher an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Trotz der Abweichung dieses Beschlusses von den Entscheidungen des OLG Düsseldorf und des OLG Brandenburg kommt eine Übertragung auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern nicht in Betracht (vgl. BGH Beschluss vom 14.09.2004 -4 StR 62/04 juris) und deshalb auch keine Vorlage zum Bundesgerichtshof (vgl. BGH Beschluss vom 28.07.1998 – 4 StR 166/98 juris).