Gericht muss Sachverständigen hinzuziehen – auch bei eigener Erfahrung

BGH, Beschluss vom 19.03.2025 – 3 StR 603/24 (LG Kleve)

Kernaussage

Wenn eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB ernsthaft in Betracht kommt, muss das Gericht einen Sachverständigen vernehmen (§ 246a Abs. 1 S. 2 StPO). Eigene Erfahrung oder „Sachkunde“ der Richter ersetzt diese Verpflichtung nicht.

Der Fall

Der Angeklagte konsumierte seit rund 20 Jahren Rauschgift, hatte bereits eine drogeninduzierte Psychose und verlor seinen Arbeitsplatz durch Drogenmissbrauch. Die Taten dienten teils der Finanzierung seines Konsums.

Das Landgericht lehnte eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ab – ohne Gutachter.

Zur Begründung führte es aus: Angaben des Angeklagten zum Konsum seien vage, Art und Menge der Drogen nicht sicher feststellbar. Es sei nicht erkennbar, dass die Taten „überwiegend“ auf seinen Hang zurückgingen, da auch Lebensunterhalt finanziert wurde. Eine Therapie habe er bisher nicht versucht, daher fehle es an Erfolgsaussicht. Die Berufsrichter verfügten aufgrund langjähriger Tätigkeit in einer Strafvollstreckungskammer über eigene Sachkunde, weshalb ein Sachverständiger nicht erforderlich sei. Der Angeklagte legte Revision ein und hatte Erfolg.

Die Entscheidung

Der BGH hob das Urteil insoweit auf, als das LG die Unterbringung nach § 64 StGB abgelehnt hatte.

Begründung: Nach § 246a Abs. 1 S. 2 StPO ist das Gericht verpflichtet, einen Sachverständigen zu vernehmen, wenn die Maßregel ernsthaft erwogen wird. Eine Ausnahme gilt nur in klaren Evidenzfällen, also wenn ein Hang oder eine Erfolgsaussicht offensichtlich ausgeschlossen sind. Eine eigene „Erfahrung“ des Gerichts reicht niemals als Ersatz. Im konkreten Fall hatte das LG die Maßregel ausdrücklich geprüft und diskutiert. Damit bestand die Pflicht zur Einholung eines Gutachtens. Dass der Angeklagte unklare Angaben machte oder keine Therapie begonnen hatte, entbindet das Gericht nicht von dieser gesetzlichen Pflicht.

Warum ist das wichtig?

Die Unterbringung nach § 64 StGB ist eine Therapiemaßnahme und kein Strafbonus.

Sie setzt voraus: einen Hang zum Rauschmittelkonsum, einen Zusammenhang zwischen Hang und Tat sowie eine realistische Erfolgsaussicht.

Diese Voraussetzungen dürfen nicht „aus dem Bauch heraus“ beurteilt werden.

Ein Gericht muss dafür fachmedizinische Expertise einholen, sobald eine Maßregel ernsthaft im Raum steht.

Der BGH stärkt die Rechte von Angeklagten mit Suchterkrankungen.

Gerichte dürfen eine Therapieunterbringung nicht allein deshalb ablehnen, weil der Betroffene seine Sucht nicht perfekt schildern kann oder bisher keine Therapieerfahrung hat.

Ist eine Unterbringung realistisch denkbar, muss ein Sachverständiger gehört werden. Alles andere ist ein Verfahrensfehler.