Wurde ein Führerschein von der Polizei sichergestellt, ist eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) nicht vor dem Verwaltungsgericht geltend zu machen. Zuständig ist das Amtsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft.

Landgericht Hamburg, Beschluss vom 13. November 2019

615 Qs 89/19

2216 Js 657/19

248a Gs 174/19

In dem Ermittlungsverfahren gegen X, geboren in Kolumbien, Staatsangehörigkeit: spanisch,

Verteidiger:

Rechtsanwalt Matthias Kiunka, Reichenberger Straße 33, 33605 Bielefeld,

wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

beschließt das Landgericht Hamburg – Große Strafkammer 15 – durch die Vorsitzende Richterin

am Landgericht X, die Richterin am Landegerich X und den Richte X am 13. November 2019:

Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts

Hamburg vom 24. September 2019 wird dieser aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Hamburg — Abteilung 248a — zurückverwiesen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit notwendigen Auslagen des Beschuldigten zu tragen.

Gründe:

Der Beschuldigte befuhr als Führer des Lkw mit dem amtlichen Kennzeichen HH-XX am 22. Februar 2019 gegen 15:40 Uhr die Köhlbrandbrücke in Hamburg. In der Finkenwerder Straße auf Höhe der Hausnummer 4 wurde er bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle angehalten und u.a. auf seine Fahrerlaubnis hin überprüft. Der Beschuldigte legte zum Nachweis seiner Fahrerlaubnis seinen EU-Führerschein vor. Auf diesem war auf der Rückseite im Feld 12 der Vermerk „…” eingetragen. Der Beschuldigte gab an, seit etwa fünf Jahren in Deutschland zu leben. Die kontrollierenden Polizeibeamten belehrten den Beschuldigten daraufhin als Beschuldigten im Strafverfahren, da ein Anfangsverdacht für ein Fahren ohne Fahrerlaubnis vorliege. Aus dem Vermerk in Feld 12 des Führerscheins ergebe sich, dass der EU-Führerschein auf Grundlage eines in Kolumbien erteilten Führerscheins erteilt worden sei, dies stelle keine auf dem Gebiet der Bundesrepublik gültige Fahrerlaubnis dar.

Die Polizeibeamten stellten den Führerschein des Beschuldigten „zwecks Kennzeichnung” sicher. Im Sicherstellungsverzeichnis wurde „§ 14 SOG” als Rechtsgrundlage der Maßnahme angegeben. Zur Verhinderung der Weiterfahrt stellten die Polizeibeamten außerdem den Fahrzeugschlüssel sicher, den sie dem Halter des Lkw, dem Zeugen Y, später aushändigten.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat mit Verfügung vom 17. Juli 2019 von der weiteren Verfolgung des Beschuldigten abgesehen, weil, so die Staatsanwaltschaft, die Schuld des Beschuldigten als gering anzusehen sei und ein öffentliches Interesse an der Verfolgung nicht bestand. Der Führerschein des Beschuldigten wurde am 26. Juli 2019 an diesen herausgegeben.

Am 2. August 2019 beantragte der anwaltlich vertretene Beschuldigte, ihn für den durch die Strafverfolgung entstandenen Schaden in Form von Verdienstausfall im Zeitraum vom 22. Februar bis zum 26. Juli 2019 zu entschädigen.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 24. September 2019 hat das Amtsgericht Hamburg auf den Entschädigungsantrag den Rechtsweg vor die ordentliche Gerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Hamburg verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei der Sicherstellung um eine schwerpunktmäßig präventive Maßnahme der Polizei gehandelt habe, deren Rechtmäßigkeit vom Verwaltungsgericht zu beurteilen sei.

Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und auch sonst zulässig, §§ 17a Abs. 2 und Abs. 4 Satz 1 und 3 GVG, 311, 306 Abs. 1 StPO.

1.

Es handelt sich bei dem Antrag des Beschuldigten um einen Antrag auf Entschädigung nach den Vorschriften des Gesetzes über Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG). Für diesen Antrag ist gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 StrEG der Rechtsweg vor das Amtsgericht Hamburg als Amtsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft eröffnet.

Gegen den Beschuldigten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Fahrens ohne Fahrerlaubnis geführt, welches aufgrund einer Ermessensvorschrift durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wurde. Der Beschuldigte hat auf die Belehrung durch die Staatsanwaltschaft, dass „in dieser Sache (…) Gegenstände sichergestellt bzw. beschlagnahmt worden” seien und daher der Beschuldigte auf Antrag möglicherweise für einen entstandenen Schaden nach dem StrEG entschädigt werden könne, einen „Antrag auf Entschädigung” gestellt und diesen damit begründet, dass dem Beschuldigten durch die Strafverfolgung ein Schaden in Form von Verdienstausfall während der Zeit der Beschlagnahme des Führerscheins entstanden sei. Hieraus ergibt sich hinreichend deutlich, dass der Beschuldigte, trotz des allgemein als „Antrag auf Entschädigung” bezeichneten Antrages, eine Entschädigung nach den Vorschriften des StrEG begehrt.

Hieran ändert die — nach Auffassung der Kammer zutreffende — Annahme des Amtsgerichts, dass es sich bei der Sicherstellung des Führerscheins des Beschuldigten um eine öffentlich-rechtliche Maßnahme handelte, gegen die der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht bzw. auf Sekundärebene vor die Zivilgerichte gegeben ist (vgl. MüKo-StPO, 1. Auflage 2018, Einleitung Rn. 61 und 62; BeckOK-OWiG, 24. Edition 2019, § 2 StrEG, Rn. 2; jeweils Beck-online), nichts. Dies ist jedoch, bezogen auf einen Antrag auf Entschädigung nach dem StrEG, ebenso wie die Frage, ob dem Beschuldigten vor dem Hintergrund des tatsächlichen Nichtvorliegens einer gültigen Fahrerlaubnis (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 28 FeV, Rn. 48, 51; VG Neustadt, B. v. 19.04.17, 3 L 396/17.NW, BeckRS 2017, 108229, beck-online) überhaupt ein Schaden entstanden sein kann, eine Frage der Begründetheit.

2

Die Kammer sieht sich daran gehindert, die im weiteren Verfahren vom Amtsgericht zu treffende Billigkeitsentscheidung, vgl. § 3 StrEG, selbst zu treffen, da es sich um eine auf die Frage der Rechtswegseröffnung beschränkte sofortige Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG handelt.

3.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.

Die Höhe der Fallpauschalen der Vergütung eines Betreuers bestimmt sich nach § 5 Abs. 3 Satz 2 VBVG. Entscheidend hierfür ist der gewöhnliche Aufenthaltsort. Das Landgericht Bielefeld ist der Auffassung, dass eine ambulant betreute Wohnform nicht mit einem Heim gleichzusetzen ist.

23 T 715/20 — Landgericht Bielefeld

2 XVII 1507/18 T — Amtsgericht Bielefeld

In dem Betreuungsverfahren

für … wohnhaft … Bielefeld,

Beteiligte:

1)            die vorgenannte Betroffene,

2)            Rechtsanwalt … Bielefeld,

Betreuer,

3)            die Landeskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor beim Landgericht Bielefeld,

hat die 23. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) vom 06.11.2020 gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 30.10.2020 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht …, die Richterin am Landgericht Dr. … und den Richter am Amtsgericht … am 22.12.2020 beschlossen:

Eine Entscheidung über die sofortige Beschwerde wird abgelehnt. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Das Beschwerdegericht ist für eine Entscheidung über die Beschwerde nicht zuständig. Denn die Beschwerde ist unzulässig, weil der nach § 61 Abs. 1 FamFG erforderliche Beschwerdewert von über 600,00 Euro nicht erreicht wird. Denn beantragt war eine Vergütung von 1.188 Euro, während die durch den angefochtenen Beschluss festgesetzte Vergütung 846,00 Euro beträgt. Die Beschwer beläuft sich somit auf lediglich 342 Euro.

Das Amtsgericht hat die Beschwerde auch nicht ausnahmsweise zugelassen.

Bei der sofortigen Beschwerde handelt es sich um mithin um eine befristete Erinnerung gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 RPfIG, über die das Amtsgericht in eigener Zuständigkeit abschließend zu entscheiden hat.

In der Sache weist die Kammer darauf hin, dass die hier vereinbarte ambulant betreute Wohnform der Unterbringung in einer stationären Einrichtung nicht vergleichbar sein dürfte. Die Voraussetzungen des – vergütungsrechtlichen Heimbegriffs sind nach § 5 Abs. 3 Satz 2 VBVG 1. V. m § 1 Abs. 2 Satz 1 und 3 HeimG nur dann erfüllt, wenn Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung sozusagen “aus einer Hand” zur Verfügung gestellt oder bereitgestellt wird (BGH, BtPrax 2019, 73).

Zwar sieht der Vertrag mit der Stiftung B. (BI. 26 ff. SHV) eine Koppelung zwischen der Wohnungsvermietung und der Abnahme von Betreuungsleistungen vor. Die vereinbarten Betreuungsleistungen sind jedoch einer Rund-um-die-Uhr-Versorgung in einem Heim nicht vergleichbar. Die vermietete Wohnung wird unmöbliert zur Verfügung gestellt und es erfolgt keine Verpflegung. Zudem werden nach § 2.2. Abs. la und Anlage 8 des Vertrages keine Pflegeleistungen, sondern ausschließlich Leistungen der ambulanten Eingliederungshilfe nach 53 ff. SGB XII erbracht. Der Umfang dieser Leistungen liegt mit 10 Wochenstunden deutlich unter dem einer vollstationären Einrichtung. Es besteht nach Anlage 8 des Vertrages zudem keine Versorgungssicherheit bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und einer eventuellen Pflegebedürftigkeit, weshalb insoweit eine Vertragsanpassung ausdrücklich ausgeschlossen ist.

Wird ein psychisch erkrankter Angeklagter wegen Schuldunfähigkeit nicht verurteilt, dürfen ihm Kosten und Auslagen im Sinne des § 467 Abs. 3 StPO nicht auferlegt werden.

Oberlandesgericht Celle

Beschluss vom 20. Januar 2020

1 Ws 4/20

4 KLs 3/20 Landgericht Bückeburg

507 Js 2674/19 Staatsanwaltschaft Bückeburg

In der Strafsache

gegen  Herrn S.

– Verteidiger: Rechtsanwalt Matthias Kiunka aus Bielefeld –

wegen Körperverletzung u.a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde des Be­schuldigten vom 27. Januar 2020 gegen den Beschluss der I. großen Strafkammer des Landgerichts Bückeburg vom 20. Januar 2020 nach Anhörung der Generalstaatsanwalt­schaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht R., den Richter am Oberlandesgericht F. und die Richterin am Oberlandesgericht W. am 8. Mai 2020 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird die Kostenentscheidung im Beschluss des Landgerichts Bückeburg vom 20. Januar 2020 dahin geän­dert, dass auch die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen von der Landeskasse zu tragen sind.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insofern ent­standenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe:

Durch Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bückeburg vom 11. September 2019 wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, am 18. März 2019 eine andere Person beleidigt und vorsätzlich verletzt zu haben.

Das Strafverfahren wurde durch Beschluss des Landgerichts Bückeburg vom 20. Januar 2020 gemäß § 206 a StPO eingestellt, weil der Beschuldigte nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen P. in seinem Gutachten vom 17. Dezember 2019 dauerhaft verhandlungsunfähig ist. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung ge­mäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse aufzuerlegen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seinem als sofortige Beschwerde auszulegenden Rechtsmittel vom 27. Januar 2020.

I.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angegriffenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass der Landeskasse die notwendigen Auslagen des Beschuldigten auferlegt werden.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen gemäß § 467 Abs. 1 StPO der Staats­kasse zur Last. Die Voraussetzungen für eine davon abweichende Regelung liegen nicht vor.

Die Möglichkeit, gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von einer Erstattung der notwendi­gen Auslagen abzusehen, besteht nur dann, wenn zum Verfahrenshindernis als alleinigem eine Verurteilung hindernden Umstand weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Angeklagten die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfG Beschluss vom 29. Oktober 2015 -211/R 388/13- juris).

Die Feststellung, dass die Voraussetzungen für eine Rechtsfolge nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO vorliegen, erfordert deshalb eine zweistufige Prüfung. Nach dem Gesetzeswort-laut muss das Verfahrenshindernis zunächst die alleinige Ursache dafür sein, dass der Be­schuldigte nicht verurteilt worden ist. Im Anschluss daran wird dem Gericht ein Ermessen im Rahmen der Auslagenentscheidung eröffnet (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 17. Juli 2014 -1 Ws 283/14- juris). Bei dieser Ermessensausübung ist maßgebend, ob das Verfah­renshindernis bereits vor Anklageerhebung bestand und auch erkennbar war, ohne dass dies in einer tatrichterlichen Hauptverhandlung noch hätte aufgeklärt werden müssen (BGH StraFo 2017, 120 (122); OLG Celle a.a.O. ni.w.N.). Auf ein prozessual vorwerfbares Ver­halten des Angeklagten kommt es hingegen nicht an (OLG Celle a.a.O.).

Im vorliegenden Fall erscheint bereits fraglich, dass allein das Verfahrenshindernis der feh­lenden Verhandlungsfähigkeit einer Verurteilung entgegenstand. Denn aus dem psychiat­rischen Gutachten des Sachverständigen P. vom 17. Dezember 2019 ist zu erse­hen, dass für die angeklagte Tathandlung von einer sicher erheblich verminderten Steue­rungsfähigkeit in Sinne des § 21 StGB, wahrscheinlich auch von einer Aufhebung zumin­dest der Steuerungsfähigkeit in Sinne des § 20 StGB auszugehen ist. Es kann also nicht festgestellt werden, dass es bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses zu einer Ver­urteilung gekommen wäre. Im Übrigen erscheine es jedenfalls im Rahmen der Ermes­sensausübung unbillig, von der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO abzuweichen, weil die Verhandlungsunfähigkeit bereits vor Anklageerhebung erkennbar gewesen ist.

Der Beschuldigte leidet seit vielen Jahren an einer schweren schizophrenen Psychose, die letztlich Ursache für die festgestellte Verhandlungsunfähigkeit ist. Er steht seit März 2009 unter gesetzlicher Betreuung. Bei einer einschlägigen Vorverurteilung wurde beim Beschul­digten bereits im Jahr 2012 durch das Amtsgericht Bielefeld eine verminderte Schuldfähig­keit festgestellt. Noch vor Anklageerhebung, bereits am 30. August 2019, war der Staats­anwaltschaft Bückeburg der Aufenthalt des Beschuldigten in einer psychiatrischen Klinik in Dortmund bekannt. Aufgrund dessen hat der zuständige Amtsanwalt mit Verfügung glei­chen Datums um eine Einschätzung der Haftfähigkeit durch die Polizei in Dortmund gebe­ten. Diese Anfrage lief letztlich ins Leere, da der Beschuldigte bereits am 28. August 2019 in Frankfurt am Main festgenommen worden war.

Bei dieser Sachlage kam die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren folgt aus einer entsprechenden Anwen­dung des § 467 Abs. 1 StPO.

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO).

Ausgefertigt

Celle, 8. Mai 2020

Amtsgericht Prenzlau, Beschluss vom 27.07.2018, Az. 21 OWi 3422 Js-Owi 29660718 (721/18)

Laut dem Amts­ge­richt Prenzlau besteht seitens des Betroffenen eines Geschwindigkeitsvorwurfs ein Anspruch gegenüber der Bußgeldbehörde auf Über­sen­dung des Beschilderungsplans an dessen Verteidiger

Be­schluss

In der
Buß­geld­sa­che

ge­gen
XXX

Verteidiger:
Rechtsanwalt Matthias Kiunka

we­gen
Ver­kehrs­ord­nungs­wid­rig­keit

  • Ge­schwin­dig­keits­über­schrei­tung
    au­ßer­halb ge­schlos­se­ner Ort­schaf­ten –

hat das
Amts­ge­richt Prenz­lau durch den Rich­ter am Amts­ge­richt XXX am 27.07.2018
be­schlossen:

I. Der Zentraldienst der Po­lizei des Lan­des Bran­den­burg – Zent­ra­le Buß­geld­stel­le Gransee – wird an­ge­wie­sen, dem Ver­tei­di­ger ei­ne Ko­pie des für den Messtag 17.03.2018 gül­ti­gen Beschilderungsplans für die Messstelle auf der Bun­des­au­to­bahn 11, km 87,4 in Fahrt­rich­tung Kreuz Uckermark durch Über­sen­dung an die Kanz­lei­an­schrift zur Ein­sicht zur Ver­fü­gung zu stel­len.

II. Die
Kos­ten des Ver­fah­rens auf ge­richt­li­che Ent­schei­dung und die not­wen­di­gen
Aus­la­gen des Be­trof­fe­nen in­so­weit hat die Lan­des­kas­se zu tra­gen.

Grün­de

I.

Der zu­läs­si­ge
An­trag auf ge­richt­li­che Ent­schei­dung ist be­grün­det.

  1. Der
    An­trag auf ge­richt­li­che Ent­schei­dung nach § 62 Abs. 1 OWiG ist zu­läs­sig.
    Bei der Ver­sa­gung von Ak­ten­ein­sicht im Zwi­schen­ver­fah­ren han­delt es
    sich um ei­ne Maß­nah­me der Ver­wal­tungs­be­hör­de, der ei­ne selbst­stän­di­ge
    Be­deu­tung zu­kommt und nicht nur der Vor­be­rei­tung ei­ner das Buß­geld­ver­fah­ren
    ab­schlie­ßen­den Ent­schei­dung dient (Göhler, Ord­nungs­wid­rig­kei­ten­ge­setz,
  2. Aufl., § 62 Rn. 3). Die Akte­nein­sicht dient der Wahr­neh­mung der Rech­te
    durch den Be­trof­fe­nen, nicht hin­ge­gen der Ver­fah­rens­fort­füh­rung durch
    die Ver­wal­tungs­be­hör­de. Zwar kann ge­gen die Ver­sa­gung der Ak­ten­ein­sicht
    ge­mäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 147 Abs. 5 S. 1 StPO nur dann ge­richt­li­che Ent­schei­dung
    be­an­tragt wer­den, wenn die­se nach dem Ver­merk der Ver­wal­tungs­be­hör­de
    über den Ab­schluss der Er­mitt­lun­gen in den Ak­ten (§ 61 OWiG) er­folg­te
    oder die Ver­wei­ge­rung die Ein­sicht in Nie­der­schrif­ten über die Ver­neh­mung
    des Be­trof­fe­nen und über sol­che Un­ter­su­chungs­hand­lun­gen, bei de­nen
    dem Ver­tei­di­ger die An­we­sen­heit ge­stat­tet wor­den ist oder hät­te ge­stat­tet
    wer­den müs­sen, so­wie Gut­ach­ten von Sach­ver­stän­di­gen be­traf (Karls­ru­her
    Kom­men­tar – Kurz, Ord­nungs­wid­rig­kei­ten­ge­setz, 3. Aufl., § 60 Rn. 103).
    Doch ist vor­lie­gend trotz des Feh­lens ei­nes aktenkundigen Ver­merks nach §
    61 OWiG der An­trag auf ei­ne ge­richt­li­che Ent­schei­dung zu­läs­sig, da für
    die Ver­wal­tungs­be­hör­de durch den Er­lass des Buß­geld­be­schei­des die Er­mitt­lun­gen
    in tat­säch­li­cher und recht­li­cher Hin­sicht ab­ge­schlos­sen wa­ren (vgl.
    Karls­ru­her Kom­men­tar, ebd. § 61 Rn. 2) und die Rech­te des Be­trof­fe­nen
    dann nicht da­durch ein­ge­schränkt wer­den kön­nen, dass die Ver­wal­tungs­be­hör­de
    den von ihr an­ge­nom­me­nen Ab­schluss der Er­mitt­lun­gen nicht auch for­mal
    in der Ak­te ve­rmerk­te.
  3. Der
    An­trag ist be­grün­det. Dem Be­trof­fe­nen steht über sei­nen Ver­tei­di­ger
    ge­mäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 147 Abs. 1 StPO ein recht auf Ein­sicht in den für
    den Mess­tag gel­ten­den Beschilderungsplan der Messstel­le durch Über­sen­dung
    ei­ner Ko­pie an den Ver­tei­di­ger zu.

a) Das
Recht auf Ak­ten­ein­sicht be­zieht sich auf die Ak­ten des Buß­geld­ver­fah­rens.
Hier­zu ge­hö­ren sämt­li­che ver­fah­rens­be­zo­ge­ne Un­ter­la­gen der Ver­wal­tungs­be­hör­de,
die zu den Ak­ten ge­nom­men wor­den sind, auf die der Vor­wurf in tat­säch­li­cher
und recht­li­cher Hin­sicht ge­stützt wird (Göh­ler, ebd., § 60 Rn. 49 m. w.
N.). Die be­trifft al­le seit Be­ginn der Er­mitt­lun­gen we­gen des Ver­dachts
ei­ner Ord­nungs­wid­rig­keit ge­sam­mel­ten be- und ent­las­ten­den Schrift­stü­cke
bzw. sol­cher Un­ter­la­gen u. ä., die ge­ra­de für das Ver­fah­ren ge­schaf­fen
wor­den sind oder dem Ge­richt vor­zu­le­gen wä­ren (Mey­er-Goßner, Straf­pro­zess­ord­nung,

  1. Aufl., § 147 Rn. 13 ff.m. w. N.). Auch beigezogene Ak­ten an­de­rer Be­hör­den
    sind von dem Ein­sichts­recht er­fasst. Aus dem Grund­satz der
    Aktenvollständigkeit er­gibt sich, dass Un­ter­la­gen (Schrift­stü­cke so­wie
    Ton- und Bildaufnahmen), die für den Be­trof­fe­nen als be­las­tend oder ent­las­tend
    von Be­deu­tung sein kön­nen, den Ak­ten nicht ferngehalten wer­den dür­fen, da
    dies ei­ne Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Ge­hör be­deu­ten wür­de.
    Nicht zu den Ak­ten ge­hö­ren da­ge­gen Hand­ak­ten und an­de­re in­ner­dienst­li­che
    Vor­gän­ge, die im Fall des Ein­spruchs ge­gen den Buß­geld­be­scheid der
    Staats­an­walt­schaft nicht vor­zu­le­gen wä­ren (Göh­ler, a. a. O.).

b) Dem
Be­trof­fe­nen ste­ht ent­spre­chend die­ser Grund­sät­ze ein An­spruch auf Ein­sicht
in den Be­schil­de­rungs­plan durch sei­nen Ver­tei­di­ger zu (vgl. AG Bad
Kissingen ZfSch 2006, 706). Auch wenn die­ser bis­lang kein Be­stand­teil der
Ak­te ist, kann der Be­schil­de­rungs­plan aus dem Grund­satz der Ak­ten­volls­tän­dig­keit
nicht fern­ge­hal­ten wer­den. Aus dem Be­schil­de­rungs­plan kön­nen der Ver­tei­di­ger
und der Be­trof­fe­ne ent­neh­men, wel­che zu­läs­si­ge Höchst­ge­schwin­dig­keit
durch die zu­stän­di­ge Be­hör­de tat­säch­lich für den Messbereich an­ge­ord­net
war.

c) Auf­grund
der wei­ten räuml­ic­hen Ent­fer­nung des Kanzleisitzes des Ver­tei­di­gers in
Min­den zu dem Sitz der Zent­ra­le Buß­geld­stel­le des Lan­des Bran­den­burg
in Gran­see in Ab­wä­gung zu der ge­rin­ge­ren Be­deu­tung der vor­ge­wor­fe­nen
Ord­nungs­wid­rig­keit be­steht aus Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­sät­zen der
An­sp­ruch, dass der Be­schil­de­rungs­plan in Ko­pie zur Ein­sicht dem Ver­tei­di­ger
über­sandt wird.

III.

Die Kos­ten­ent­schei­dung
be­ruht auf §§ 62 Abs. 2 S. 2 OWiG, 467 Abs. 1 StPO.

Keine Betreuung gegen den Willen des Betroffenen

Land­ge­richt Bie­le­feld

Aktenzeichen 23 T 517/17

Be­schluss vom 12.10.2017

In dem Be­treu­ungs­ver­fah­ren

für XXX

hat die 23. Zi­vil­kam­mer des Land­ge­richts Bie­le­feld auf die Be­schwer­de des Be­tei­lig­ten zu 1) vom 01.06.2017 ge­gen den Be­schluss des Amts­ge­richts Bie­le­feld (Az. 2 XVII 763/17 L) vom 17.05.2017 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Land­ge­richt XXX am 12.10.2017

be­schlos­sen:

Der an­ge­foch­te­ne Be­schluss wird auf­ge­ho­ben.

Grün­de:

Mit Schrei­ben vom 12.04.2017 reg­te das XXX die Ein­rich­tung ei­ner Be­treu­ung an. Das Amts­ge­richt hat zur Fra­ge, ob für den Be­trof­fe­nen ei­ne Be­treu­ung ein­zu­rich­ten ist, mit Be­schluss vom 04.05.2017 die Ein­ho­lung ei­nes Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens an­ge­ord­net. Der Sach­ver­stän­di­ge XXX (Fach­arzt für Psy­chia­trie und Psy­cho­the­ra­pie) in Bie­le­feld hat un­ter dem 16.06.2017 sein schrift­li­ches Gut­ach­ten er­stat­tet. Das Amts­ge­richt hat so­dann durch den an­ge­foch­te­nen Be­schluss im We­ge ei­ner einst­wei­li­gen An­ord­nung ei­ne vor­läuf­i­ge Be­treu­ung für den Be­trof­fe­nen mit den Auf­ga­ben­krei­sen “Ge­sund­heits­für­sor­ge, Auf­ent­haltsbestimmung, Woh­nungs-, Heim- und Ver­mö­gens­an­ge­le­gen­hei­ten so­wie Ver­tre­tung ge­gen­über Be­hör­den und Leis­tungs­trä­gern” ein­ge­rich­tet und die Be­tei­lig­te zu 2) vor­läu­fig zur Be­treu­e­rin be­stellt. Fer­ner wur­de be­stimmt, dass die vor­läu­fi­ge Betreuerbestellung am 17.11.2017 en­det, wenn sie nicht vor­her ver­län­gert wird.

Ge­gen die­se Ent­schei­dung hat der Be­trof­fe­ne am 01.06.2017 Be­schwer­de ein­ge­legt. Das Amts­ge­richt hat den Be­trof­fe­nen am 09.08.2017 nach­träg­lich per­sön­lich an­ge­hört, der Be­schwer­de nicht ab­ge­hol­fen und die Sa­che dem Land­ge­richt zur Ent­scheid­ung vor­ge­legt.

Die Kam­mer hat den Be­trof­fe­nen im Be­schwer­de­ver­fah­ren am 05.09.2017 er­neut per­sön­lich an­ge­hört.

Die Be­schwer­de ist ge­mäß § 58 Abs. 1 FamFG statt­haft so­wie frist­ge­recht und form­ge­recht ein­ge­legt. Das Rechts­mit­tel ist auch be­grün­det, denn die Vo­raus­set­zun­gen für die Ein­rich­tung ei­ner vor­läu­fi­gen Be­treu­ung lie­gen nicht mehr vor.

Ge­mäß § 300 Abs. 1 Satz 1 FamFG kann das Ge­richt durch einst­wei­li­ge An­ord­nung ei­nen vor­läu­fi­gen Be­treu­er be­stel­len, wenn drin­gen­de Grün­de für die An­nah­me be­ste­hen, dass die Vo­raus­set­zun­gen für die Be­stel­lung ei­nes Be­treu­ers ge­ge­ben sind und ein drin­gen­des Be­dürf­nis für ein sofor­ti­ges Tä­tig wer­den be­steht. Letz­te­res ist nur der Fall, wenn das Ab­war­ten bis zur end­gül­ti­gen Ent­schei­dung für den Be­trof­fe­nen er­heb­li­che Nach­tei­le zur Fol­ge hät­te. Die­se Vo­raus­set­zun­gen sind hier nicht mehr ge­ge­ben.

Die ge­sund­heit­li­che Ver­fas­sung des Be­trof­fe­nen hat sich mitt­ler­wei­le sta­bi­li­siert. Die am­bu­lan­te und me­di­ka­men­tö­se Ver­sor­gung durch den Haus­arzt so­wie die häus­li­che Ver­sor­gung sind si­cher­ge­stellt. Nach Mit­tei­lung der Be­treu­e­rin ist in den an­ge­ord­ne­ten Auf­ga­ben­krei­sen der­zeit ein un­auf­schieb­ba­rer Re­ge­lungs­be­darf nicht ge­ge­ben. Die re­gel­mä­ßi­ge Ga­be und Kon­trol­le der von dem Be­trof­fe­nen be­nö­tig­ten Me­di­ka­men­te (bei be­ste­hen­der Herz- und Nie­ren­schwä­che so­wie Atems­tö­rung) durch ei­nen am­bu­lan­ten Pfle­ge­dienst ist bis­lang am Wi­der­stand des Be­trof­fe­nen ge­schei­tert. Die Be­treu­e­rin sieht der­zeit aber in­so­weit auch kei­nen Hand­lungs­be­darf. Die häus­li­che Ver­sor­gung ist nach den Ein­drü­cken bei der per­sön­li­chen An­hö­rung un­ein­ge­schränkt ge­währ­leis­tet. In den üb­ri­gen Auf­ga­ben­krei­sen hat sich nach Mit­tei­lung der Be­treu­e­rin bis­lang kein aku­ter Hand­lungs­be­darf er­ge­ben.

Ge­mäß § 1896 Abs. 1 BGB darf von Amts we­gen für ei­nen Voll­jäh­ri­gen ein Be­treu­er nur be­stellt wer­den, wenn er auf­grund ei­ner psy­chi­schen Krank­heit oder ei­ner geis­ti­gen oder see­li­schen Be­hin­de­rung sei­ne An­ge­le­gen­hei­ten ganz oder teil­wei­se nicht be­sor­gen kann. Er­folgt die Ein­rich­tung der Be­treu­ung – wie hier – ge­gen den Wil­len des Be­trof­fe­nen, so ist die zu­sätz­li­che Fest­stel­lung er­for­der­lich, dass die­ser auf­grund der fest­ges­tell­ten psy­chi­schen Krank­heit, geis­ti­gen oder see­li­schen Be­hin­de­rung sei­nen Wil­len nicht frei be­stim­men kann.

Ob die­se Vo­raus­set­zun­gen hier nach wie vor ge­ge­ben sind, er­scheint zwei­fel­haft. Nach dem fach­ärzt­li­chen Gut­ach­ten vom 16.06.2017 be­steht zwar der Ver­dacht ei­ner be­gin­nen­den De­men­zer­kran­kung. Bei der Ex­plo­ra­ti­on durch den Sach­ver­stän­di­gen be­stan­den deut­li­che Kon­zen­tra­tions- und Auf­fas­sungss­tö­run­gen so­wie Orien­tie­rungss­tö­run­gen im zeit­li­chen Be­reich. Das Kurz- und Lang­zeit­ge­dächt­nis war ge­stört. Mög­li­cher­wei­se war dies aber noch Fol­ge des im Ap­ril/Mai nach ei­ner schwe­ren kar­dia­len De­kom­pen­sa­tion auf­ge­tre­te­nen De­lirs. Bei der An­hö­rung durch die Kam­mer wa­ren da­ge­gen kei­ne Kon­zen­tra­tions- und Ge­dächt­niss­tö­run­gen oder sons­ti­ge Auf­fäl­lig­kei­ten fest­stell­bar. Der Zu­stand des Be­trof­fe­nen er­schien ins­ge­samt deut­lich ver­bes­sert und sta­bil. So­fern das Be­treu­ungs­prü­fungs­ver­fah­ren fort­ge­führt wird, müss­te da­her ei­ne wei­te­re Ab­klä­rung im Rah­men ei­ner Nach­be­gut­ach­tung er­fol­gen.

Ge­mäß § 1896  Abs. 2 BGB darf die Be­treu­ung fer­ner nur für sol­che Auf­ga­ben­krei­se an­ge­ord­net wer­den, in de­nen ein kon­kre­ter Be­treu­ungs­be­darf be­steht. Dies ist nach den Fest­stel­lun­gen im Be­schwer­de­ver­fah­ren ak­tu­ell al­len­falls im Be­reich der Ge­sund­heits­für­sor­ge er­sichtl­ich. Ge­ge­be­nen­falls be­darf es da­her auch in­so­weit noch wei­te­rer Er­mitt­lun­gen.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung:

Ge­gen die­se Ent­schei­dung ist kei­n wei­te­res Rechts­mit­tel mehr ge­ge­ben (§ 70 Abs. 4 FamFG).

Dauerkarten Verkauf über EBAY – Keine Haftung des Account-Inhabers

  1. Bei einem Verkauf über ein EBAY-Konto ist nicht zwingend der Rückschluss zu ziehen, dass der Kaufvertrag mit dem Account-Inhaber zustande gekommen ist.

  2. Die Beweislast dafür, dass mit dem Account-Inhaber ein Vertrag mit den hieraus resultierenden Rechten und Pflichten zustande gekommen ist, trägt der Käufer.

  3. Für die Tatsache, dass eine über ein bestimmtes Mitgliedskonto abgegebene Willenserklärung von dem Kontoinhaber abgegeben worden ist, spricht auch kein Anscheinsbeweis, da es an einem für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderlichen typischen Geschehensablauf fehlt.

  4. Für eine Zurechnung des Verhaltens eines Dritten ist auch nicht ausreichen, dass der Account-Inhaber die Zugangsdaten nicht sicher verwahrt bzw. geschützt hat.

  5. Wer eine nicht aktuelle Dauerkarte veräußert, muss darauf hinweisen, dass es sich bei der Dauerkarte nicht um einer Karte handelt, die dauerhaft gültig ist.

Leitsatz Rechtsanwalt Kiunka, Fachanwalt für IT- und Strafrecht, Bielefeld

 

Landgericht Tübingen

Beschluss vom 23. Januar 2013

Aktenzeichen: 1 T 102/12

In Sachen

… (Name) … (Anschrift

– Kläger / Beschwerdegegner –

Prozessbevollmächtigter: …

gegen

– Beklagte / Beschwerdeführer –

Prozessbevollmächtigter zu 1 und 2:

Rechtanwälte Rudolph, Heydemann und Kiunka, Gustav-Radbruch-Straße 7, 32423 Minden

wegen Prozesskostenhilfe

hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen durch Richterin am Arbeitsgericht Fuhrmann als Einzelrichterin

beschlossen:

1.

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts Bad Urach vom … (Datum) dahingehend abgeändert, dass der Beklagte Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 für die Rechtsverteidigung im erstinstanzlichen Verfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt … bewilligt wird. Die Beiordnung erfolgt zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts.

2.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten Ziffer 2/Beschwerdeführer Ziffer 2 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Urach vom … (Datum) wird demgegenüber zurückgewiesen

Gründe:

I.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Urach vom … (Datum), mit welchem (u.a.) der Antrag der Beklagten Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zurückgewiesen wurde, ist gemäß §§ 127, 569 ZPO zulässig und hat die Sache auch Erfolg.

 

Gemäß § 114 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussichten bietet die Rechtsverteidigung gegen eine Klage dann, wenn entweder die Klage unschlüssig ist oder das Gericht den Rechtsstandpunkt der sich gegen die Klage verteidigenden Partei aufgrund ihrer Sachdarstellung und der etwaig vorhandenen Unterlagen mindestens für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung  überzeugt ist (BGH, NJW 1994, 1161; OLG Köln NJW-RR 2001, 791). Es muss aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringen wird (Zöller-Geimer, ZPO-Kommentar, 28. Auflage, § 114 Rn. 19); im Falle der Rechtsverteidigung gegen eine Klage muss also eine Klagabweisung – ggf. nach einer Beweiserhebung – ernsthaft in Betragt kommen. Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht Überspannt werden; ausreichend sind „hinreichende“ Erfolgsaussichten (Zöller-Geimer a.a.O.).

 

Die Rechtsverteidigung der Beklagten Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 stellt sich auf Grundlage einer summarischen Überprüfung des wechselseitigen Vorbringens und der vorgelegten Unterlagen als „hinreichend“ erfolgsversprechend dar.

 

Der Rechtsverteidigung ist allerdings nicht bereits deshalb Aussicht auf Erfolg zu bescheiden, weil die Klage beim örtlich unzuständigen Gericht erhoben worden wäre. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts, die sich das Beschwerdegericht zu eigen macht, Bezug genommen.

 

In der Sache kommt jedoch nach Aktenlage in Bezug auf die Beklage Ziffer 1 eine Klagabweisung ernsthaft in Betracht, bestehen mithin „hinreichende“ Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung.

 

Wenngleich davon auszugehen ist, dass der streitgegenständliche Kaufvertrag über das … (Verkaufsgegenstand)  und die Dauerkarte über das Ebay-Konto der Beklagten Ziffer 1 abgewickelt wurde, so vermag hieraus nicht zwingend der Rückschluss gezogen zu werden, der Kaufvertrag wäre mit der Beklagten Ziffer 1 zustande gekommen und diese hätte, vertreten durch den Beklagten Ziffer 2, gegen ihre vorvertraglichen Aufklärungspflichten verstoßen. Die Beweislast dafür, dass mit der Beklagten Ziffer 1 ein Vertrag mit den hieraus resultierenden Rechten und Pflichten zustande gekommen ist, trägt der Kläger, da er Ansprüche aus diesem Vertrag herleiten will. Dementsprechend muss der Kläger beweisen, dass das elektronische Internetangebot von derjenigen abgegeben worden ist, deren Name oder Passwort – hier also der Beklagten Ziffer 1 – verwandt worden ist bzw. dass diese rechtswirksam durch einen Dritten – den Beklagten Ziffer 2 – vertreten worden ist, da er aus der Erklärung Rechte ableiten will. Beweis dafür, dass das Kaufvertragsangebot von der Beklagten Ziffer 1 stammt bzw. diese den Beklagten Ziffer 2 entsprechend bevollmächtigt hat, hat der Kläger nicht angetreten. Für die Tatsache, dass eine über ein bestimmtes Mitgliedskonto abgegebene Willenserklärung von dem jeweiligen Kontoinhaber abgegeben worden ist, spricht auch kein Anscheinsbeweis, da es an einem für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderlichen typischen Geschehensablauf fehlt. Der Sicherheitsstandard im Internet ist derzeit nicht ausreichend, um aus der Verwendung eines bestimmten Kontos und dessen Passworts auf denjenigen als Verwender zu schließen, dem dieses Konto bzw. Passwort zugeteilt worden ist. Auch aus der Tatsache, dass die Beklagte Ziffer 1 selbst angegeben hat, dass ihr Sohn … (Vorname) das Geschäft wohl auf ihren Namen gemacht habe, ergibt sich nichts anders im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast. Indem die Beklagte Ziffer 1 den tatsächlichen Nutzer und Anbietenden angegeben hat, ist sie der ihr jedenfalls obliegenden sekundären Darlegungslast nachgekommen (vgl. hierzu Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21.06.2012 – 3 U 1/12).

 

Auch eine Haftung aus Rechtsscheingesichtspunkten ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Eine Duldungsvollmacht der Beklagten Ziffer 1 kann nicht allein deshalb angenommen werden, weil die Beklagte Ziffer 1 eingeräumt hat, von dem Geschäft ihres Sohnes zu wissen. Denn dieses Wissen kann die Beklagte Ziffer 1 auch nach Durchführung des Geschäftes, was sie auch ausdrücklich vorgetragen hat, erlangt haben. Dass die Beklagte Ziffer 1 einen bestimmten Duldungstatbestand geschaffen hätte, ist damit nicht ersichtlich. Auch die Voraussetzung einer Anscheinsvollmacht sind nicht hinreichend dargetan. Eine Anscheinsvollmacht ist gegeben, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und wen der Geschäftspartner annehmen durfte, der Vertretene kenne und billige das Handeln des Vertreters. Die Rechtsgrundsätze der Anscheinsvollmacht greifen in der Regel nur ein, wenn das Verhalten des einen Teils, aus dem der Geschäftsgegner auf die Bevollmächtigung des Dritten glaubt, schließen zu können, von einer gewissen Dauer und Häufigkeit ist. Bei einem mit einer Identitätstäuschung verbundenen Handeln unter fremdem Namen ist bei der Anwendung dieser Grundsätzlich auf das Verhalten des Namensträgers abzustellen. Vorliegend fehlt es bereits an einem Vortrag des Klägers zur Erkennbarkeit des Missbrauchs durch die Beklagten Ziffer 1 bzw. der Möglichkeit der Verhinderung. Schließlich scheidet eine Anscheinsvollmacht deswegen aus, da der Kläger nicht vorgetragen hat, dass es weitere missbräuchliche Nutzungen des eBay-Accounts von Seiten des Beklagten Ziffer 2 gegeben habe, so dass es auch deshalb an einem vom Beklagten geschaffenen Vertrauenstatbestand fehlt.

 

Nach der Grundsatzentscheidung des BGH (Urteil vom 11.05.2011 – VIII ZR 289/09) würde es für eine Zurechnung des Verhaltens des Beklagten Ziffer 2 auch nicht ausreichen, dass die Beklagte Ziffer 1 ihre Zugangsdaten nicht sicher verwahrt bzw. geschützt hätte, was vom Kläger aber schon nicht behauptet wurde. Ausdrücklich hat der BGH eine Übertragung der im Bereich der deliktischen Haftung entwickelten Grundsätze auf die Zurechnung einer unter unbefugter Nutzung eines Mitgliedskonto von einem Dritten abgegebenen rechtsgeschäftlichen Erklärung abgelehnt.

 

Die Verteidigung der Beklagten Ziffer 1 gegen einen Anspruch aus Vertrag, dessen Voraussetzungen der Kläger darzulegen und zu beweisen hat, die jedoch schon nicht schlüssig dargetan sind (womit eine Zurückweisung des Vortrags der Beklagten Ziffer 1, die von Anfang an einen eigenen Vertragsschluss auch in Vertretung bestritten hat, als verspätet ausscheidet), verspricht danach hinreichend Aussicht auf Erfolg. Entsprechendes gilt, soweit der Anspruch auf Delikt gestützt wird. Auch insoweit fehlt es an einem hinreichenden Tatsachenvortrag des Klägers, wonach davon ausgegangen werden könnte, dass die Handlungen des Beklagten Ziffer 2 mit Wissen und Wollen der Beklagte Ziffer 1 erfolgt sind, die Beklagten also in Mittäterschaft gehandelt haben. Ganz im Gegenteil hat die Beklagte Ziffer 1 mit Schriftsatz vom 19.04.2012, in welchem ausgeführt wird, dass ihr Sohn … (Beklagte Ziffer 2) das Geschäft wohl auf den Namen Beklagte Ziffer 1 gemacht habe, dies aber, ohne dass dies die Beklagte Ziffer 1 mitbekommen habe, dies ausdrücklich bestritten. Etwas anderes vermag weder aus einer bloßen telefonischen Behauptung des Klägervertreters hergeleitet zu werden noch ist ersichtlich, dass eine Mittäterschaft oder Mitwisserschaft von Anfang an anlässlich des Telefonats zwischen Beklagter Ziffer 1 und dem zuständigen Richter eingeräumt worden wäre.

 

Im Ergebnis hat danach die Rechtsverteidigung der Beklagten Ziffer 1/Beschwerdeführerin Ziffer 1 gegen den Klageanspruch hinreichend Aussicht auf Erfolg, weshalb, da die Beklagte Ziffer 1 aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, für die Kosten der Rechtsverteidigung aufzukommen, in Abweichungen zum Beschluss des Amtsgericht Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen war.

 

Demgegenüber hat die sofortige Beschwerde des Beklagten Ziffer 2 gegen den Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten Ziffer 2 zurückweisenden Beschluss des Amtsgericht Bad Urach keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zu Recht mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung zurückgewiesen.

 

Der Beklagte Ziffer 2 hat mit Schriftsatz vom 19.04.2012, seinerzeit anwaltlich noch nicht vertreten, eingeräumt, „nur“ das BVB Buch verkauft zu haben, nicht jedoch eine Dauerkarte. Die Dauerkarte habe es vielmehr als Geschenk dazu gegeben, weil es Viele gebe, die so etwas sammelten. Der Vertragsausschluss selbst wurde danach vom Beklagten Ziffer 2 eingeräumt.

 

Auch die Beklagte Ziffer 1 hat mit Schriftsatz ebenfalls vom 19.04.2012 vorgetragen, ihr Sohn habe das Geschäft wohl auf ihren Namen gemacht.

 

Insoweit ist zu Lasten des Beklagten Ziffer 2 davon auszugehen, dass der Vertrag mit ihm, auch wenn er unter fremdem Namen gehandelt hat, zustande gekommen ist. Soweit dies vom Beklagten Ziffer 2 nachfolgend wieder bestritten worden ist, hat das Amtsgericht zu Recht ausgeführt, dass dieses Bestreiten angesichts der vorausgegangenen Erklärungen beider Beklagten, wonach der Verkauf durch den Beklagten Ziffer 2 erfolgt ist, unbeachtlich ist. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Beklagte Ziffer 2 den Vertragsschluss selbst zunächst eingeräumt hat, um sodann die Vertragspartnerschaft zu leugnen. Soweit er – möglicherweise – nur bestreiten wollte, dass der Text, wie er aus Anlage K 4 hervorgeht, nicht von ihm stamme, so ist dieses Bestreiten unsubstanziiert. Da es der Beklagte Ziffer 2 war, der das BVB-Meisterbuch zum Kauf angeboten hat. In seiner unsubstanziierten Form ist das Bestreiten des Beklagten Ziffer 2 unbeachtlich.

 

Was die Auslegung des danach – dies ist der Entscheidung zugrunde zu legen – vom Beklagten Ziffer 2 auf der Internetplattform „ebay“ eingestellten Angebotstext betrifft, so teilt das Beschwerdegericht insoweit voll und ganz die wohl begründete Auffassung des Amtsgericht und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf dessen Ausführungen im angegriffenen Beschluss. Es hätte dem Beklagten Ziffer 2 im Rahmen seiner vorvertraglichen Pflichten oblegen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Dauerkarte – ungeachtet des insoweit verwirrenden Angebotstextes, der auf der Gegenteiliges hindeutet – nicht um einer Karte handelt, die dauerhaft gültig ist. Diese Pflicht bestand erst recht aufgrund der Anfrage des Klägers per Email, ob es sich bei der Dauerkarte um eine solche handele, die in dieser Spielzeit gilt oder erst ab der nächsten Saison. Hierdurch wurde das Verständnis des Klägers vom Inhalt dessen, was seiner Meinung nach versteigert werden sollte, hinreichend deutlich, wobei dieses Verständnis vom Wortlaut des Angebotstextes getragen wird. Dies spätestens hätte den Beklagten Ziffer 2 veranlassen müssen, den tatsächlichen Verkaufsgegenstand zu erläutern, was er jedoch pflichtwidrig unterlassen hat. Folge des Aufklärungspflichtverstoßes des Beklagten Ziffer 2 ist ein Schadenersatzanspruch des Klägers, der darauf gerichtet ist, so gestellt zu werden, wir der Kläger stehen würde, wenn der Beklagte Ziffer 2 seiner Aufklärungspflicht nachgekommen wäre. In diesem Falle hätte der Kläger, dies ist zweifelsfrei, das BVB-Meisterbuch nebst Dauerkarte nicht ersteigert, es wäre also nicht zum Kauf gekommen. Der Schadenersatzanspruch des Klägers ist danach auf Rückabwicklung des Kaufvertrages ausgerichtet, der durch den zuletzt angekündigten Antrag (Zug um Zug) auch hinreichend zum Tragen kommt. Losgelöst davon, ob auch ein deliktischer Anspruch des Klägers gegen ist, was deshalb offen bleiben kann, hat danach die Rechtsverteidigung des Beklagten Ziffer 2 auf eine Grundlage seines bisherigen Verteidigungsvorbringens keine Aussicht auf Erfolg.

 

Sein Prozesskostenhilfeantrag wurde deshalb zu Recht mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung zurückgewiesen.

 

Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst.