DNA-Gutachten kann nicht schlicht „wegen Bedeutungslosigkeit” abgelehnt werden

1. Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass die Blutanhaftungen an einem am Tatort sichergestellten Papierfetzen von einer bestimmten Person stammt, kann nicht ohne weitere Begründung “wegen Bedeutungslosigkeit” abgelehnt werden.

2. Im Fall der Glaubwürdigkeit einer Zeugin bedarf es der Darlegung, warum das Gericht die zu beweisende Tatsache auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe.

3.  Die Anforderungen an die Begründung entsprechen den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen.

Leitsätze der Kanzlei Rudolph

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.05.2013, Az. 2 StR 29/13

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Aachen vom 24. August 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ferner hat es ein sichergestelltes Messer eingezogen. Die auf den Maßregelausspruch nach § 63 StGB beschränkte, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg und führt zur Aufhebung des gesamten Urteils.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte in Gegenwart der Zeugin H.   deren Lebensgefährten erstochen. Das Gericht hat die Tat als Mord (§ 211 StGB) bewertet und ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aufgrund erheblicher Alkoholisierung im Zusammenwirken mit der infolge langjährigen Alkoholmissbrauchs eingetretenen Persönlichkeitsveränderung gemäß § 21 StGB erheblich vermindert war. Da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Angeklagte ein der Tat unmittelbar vorangegangenes Gespräch zwischen der Zeugin H.   und ihrem Lebensgefährten fälschlicherweise als gegen sich gerichtet gedeutet hat und in ihm hierdurch ein aggressiver Impuls ausgelöst wurde, durch den er zu der Tötung hingerissen wurde, hat das Gericht – auch mit Blick auf ein unter normalen Umständen nicht erkennbares Tatmotiv – nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit auch aufgehoben im Sinne des § 20 StGB war. Es hat daher den Angeklagten freigesprochen und auf Grundlage der festgestellten verminderten Steuerungsfähigkeit seine Unterbringung gemäß § 63 StGB angeordnet.

2. Der Maßregelauspruch war aufzuheben. Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB setzt die Begehung einer rechtswidrigen Tat voraus. Diese hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, denn es hat einen die Anlasstat betreffenden Beweisantrag unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt.

a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der die Tat bestreitende Angeklagte hat in der Hauptverhandlung den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache gestellt, dass die Blutanhaftungen an einem am Tatort sichergestellten Papierfetzen von der Zeugin H.     stammten, dass es sich dabei um ein Vollprofil der DNA der Zeugin handelte und dass Mischspuren bzw. Teilprofile Dritter nicht vorhanden waren. Das Landgericht hat den Antrag ohne weitere Begründung “wegen Bedeutungslosigkeit” abgelehnt.

b) Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Geht es wie hier letztlich um die Glaubwürdigkeit einer Zeugin, bedarf es der Darlegung, warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe. Die Anforderungen an die Begründung entsprechen grundsätzlich den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2006 – 4 StR 251/06, NStZ-RR 2007, 84, 85 mwN; Beschluss vom 27. März 2012 – 3 StR 47/12).

Daran fehlt es hier. Die unter Beweis gestellte Tatsache hätte die Schlussfolgerung zugelassen, dass die Zeugin H.   während ihres Aufenthalts in der Wohnung des Angeklagten von ihrem Lebensgefährten körperlich misshandelt wurde und daher ein Tatmotiv hatte. Das Landgericht hat in seinem Beschluss indes weder mitgeteilt, dass es diesen möglichen Schluss nicht ziehen wollte, noch hat es seine Entscheidung mit konkreten Erwägungen begründet. Die Bedeutungslosigkeit lag auch nicht auf der Hand, was eine fallbezogene Begründung ausnahmsweise entbehrlich hätte machen können (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2009 – 2 StR 363/09, StV 2010, 557; Beschluss vom 27. März 2012 – 3 StR 47/12 mwN).

c) Auf diesem Verfahrensfehler beruht der Maßregelausspruch, denn der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei gesetzeskonformer Behandlung des Beweisantrags eine für die Anordnung der Unterbringung erforderliche rechtswidrige Tat nicht hätte feststellen können.

3. Die Aufhebung des Maßregelausspruchs hat aufgrund des bestehenden inneren Zusammenhangs auch die Aufhebung des Freispruchs zur Folge.

a) Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldunfähigkeit nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17; BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, StraFo 2013, 165 mwN).

Letzteres kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, denn die Annahme des Landgerichts, die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei zur Tatzeit nicht ausschließbar aufgehoben, gründet maßgeblich auf den Feststellungen zur Anlasstat. Sollte das neue Tatgericht insbesondere zu dem Geschehen unmittelbar vor der Tat veränderte Feststellungen treffen, könnte dies auch eine veränderte Bewertung zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten nach sich ziehen.

b) Die Beschränkung der Revision des Angeklagten auf die Maßregelanordnung ist unwirksam, weil sowohl die Unterbringung nach § 63 StGB als auch der auf § 20 StGB gründende Freispruch von den Feststellungen der Strafkammer zur Anlasstat abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht. Da nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr eine Bestrafung des Angeklagten möglich ist, wenn sich aufgrund veränderter Feststellungen zur Anlasstat seine Schuldfähigkeit herausstellen sollte, lässt sich die Wirksamkeit einer isolierten Anfechtung der Maßregelanordnung nicht mehr mit der Erwägung rechtfertigen, dass aufgrund des Verbots der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) unabhängig von der Bewertung der Schuldfrage in jedem Fall wieder auf Freispruch erkannt werden müsste (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12). Dies wäre nur dann der Fall, wenn die den Freispruch tragende Schuldunfähigkeit des Angeklagten unabhängig von der konkret festgestellten Tat feststünde (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 – 5 StR 199/11).