Wird ein psychisch erkrankter Angeklagter wegen Schuldunfähigkeit nicht verurteilt, dürfen ihm Kosten und Auslagen im Sinne des § 467 Abs. 3 StPO nicht auferlegt werden.

Oberlandesgericht Celle

Beschluss vom 20. Januar 2020

1 Ws 4/20

4 KLs 3/20 Landgericht Bückeburg

507 Js 2674/19 Staatsanwaltschaft Bückeburg

In der Strafsache

gegen  Herrn S.

– Verteidiger: Rechtsanwalt Matthias Kiunka aus Bielefeld –

wegen Körperverletzung u.a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde des Be­schuldigten vom 27. Januar 2020 gegen den Beschluss der I. großen Strafkammer des Landgerichts Bückeburg vom 20. Januar 2020 nach Anhörung der Generalstaatsanwalt­schaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht R., den Richter am Oberlandesgericht F. und die Richterin am Oberlandesgericht W. am 8. Mai 2020 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird die Kostenentscheidung im Beschluss des Landgerichts Bückeburg vom 20. Januar 2020 dahin geän­dert, dass auch die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen von der Landeskasse zu tragen sind.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insofern ent­standenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe:

Durch Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bückeburg vom 11. September 2019 wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, am 18. März 2019 eine andere Person beleidigt und vorsätzlich verletzt zu haben.

Das Strafverfahren wurde durch Beschluss des Landgerichts Bückeburg vom 20. Januar 2020 gemäß § 206 a StPO eingestellt, weil der Beschuldigte nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen P. in seinem Gutachten vom 17. Dezember 2019 dauerhaft verhandlungsunfähig ist. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung ge­mäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse aufzuerlegen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seinem als sofortige Beschwerde auszulegenden Rechtsmittel vom 27. Januar 2020.

I.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angegriffenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass der Landeskasse die notwendigen Auslagen des Beschuldigten auferlegt werden.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen gemäß § 467 Abs. 1 StPO der Staats­kasse zur Last. Die Voraussetzungen für eine davon abweichende Regelung liegen nicht vor.

Die Möglichkeit, gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von einer Erstattung der notwendi­gen Auslagen abzusehen, besteht nur dann, wenn zum Verfahrenshindernis als alleinigem eine Verurteilung hindernden Umstand weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Angeklagten die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfG Beschluss vom 29. Oktober 2015 -211/R 388/13- juris).

Die Feststellung, dass die Voraussetzungen für eine Rechtsfolge nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO vorliegen, erfordert deshalb eine zweistufige Prüfung. Nach dem Gesetzeswort-laut muss das Verfahrenshindernis zunächst die alleinige Ursache dafür sein, dass der Be­schuldigte nicht verurteilt worden ist. Im Anschluss daran wird dem Gericht ein Ermessen im Rahmen der Auslagenentscheidung eröffnet (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 17. Juli 2014 -1 Ws 283/14- juris). Bei dieser Ermessensausübung ist maßgebend, ob das Verfah­renshindernis bereits vor Anklageerhebung bestand und auch erkennbar war, ohne dass dies in einer tatrichterlichen Hauptverhandlung noch hätte aufgeklärt werden müssen (BGH StraFo 2017, 120 (122); OLG Celle a.a.O. ni.w.N.). Auf ein prozessual vorwerfbares Ver­halten des Angeklagten kommt es hingegen nicht an (OLG Celle a.a.O.).

Im vorliegenden Fall erscheint bereits fraglich, dass allein das Verfahrenshindernis der feh­lenden Verhandlungsfähigkeit einer Verurteilung entgegenstand. Denn aus dem psychiat­rischen Gutachten des Sachverständigen P. vom 17. Dezember 2019 ist zu erse­hen, dass für die angeklagte Tathandlung von einer sicher erheblich verminderten Steue­rungsfähigkeit in Sinne des § 21 StGB, wahrscheinlich auch von einer Aufhebung zumin­dest der Steuerungsfähigkeit in Sinne des § 20 StGB auszugehen ist. Es kann also nicht festgestellt werden, dass es bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses zu einer Ver­urteilung gekommen wäre. Im Übrigen erscheine es jedenfalls im Rahmen der Ermes­sensausübung unbillig, von der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO abzuweichen, weil die Verhandlungsunfähigkeit bereits vor Anklageerhebung erkennbar gewesen ist.

Der Beschuldigte leidet seit vielen Jahren an einer schweren schizophrenen Psychose, die letztlich Ursache für die festgestellte Verhandlungsunfähigkeit ist. Er steht seit März 2009 unter gesetzlicher Betreuung. Bei einer einschlägigen Vorverurteilung wurde beim Beschul­digten bereits im Jahr 2012 durch das Amtsgericht Bielefeld eine verminderte Schuldfähig­keit festgestellt. Noch vor Anklageerhebung, bereits am 30. August 2019, war der Staats­anwaltschaft Bückeburg der Aufenthalt des Beschuldigten in einer psychiatrischen Klinik in Dortmund bekannt. Aufgrund dessen hat der zuständige Amtsanwalt mit Verfügung glei­chen Datums um eine Einschätzung der Haftfähigkeit durch die Polizei in Dortmund gebe­ten. Diese Anfrage lief letztlich ins Leere, da der Beschuldigte bereits am 28. August 2019 in Frankfurt am Main festgenommen worden war.

Bei dieser Sachlage kam die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren folgt aus einer entsprechenden Anwen­dung des § 467 Abs. 1 StPO.

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO).

Ausgefertigt

Celle, 8. Mai 2020