Rechtsbeschwerde, Entbindung vom persönlichen Erscheinen, keine Verwerfung

Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluss vom 11.07.2017, Az. 2 Ss OWi 174/17

 

Nach erfolgter Entbindung vom persönlichen Erscheinen darf der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid vom Gericht nicht verworfen werden.

Leitsatz Rechtsanwalt Kiunka, Fachanwalt für IT-, Straf- und Verkehrsrecht

 

In der Bußgeldsache

gegen

XXX

Verteidiger: Rechtsanwalt Matthias Kiunka, Gustav-Radbruch-Straße 7, 32423 Minden,

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat das Oberlandesgericht Oldenburg (Oldenburg) durch den Richter am Oberlandesgericht XXX am 11.07.2017 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 28.04.2017 wird zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das vorbezeichnete Urteil des Amtsgerichts aufgehoben. Die Sache wird zu erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Osnabrück zurückverwiesen.

Gründe:

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht einen Einspruch des Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid des Landkreises Osnabrück vom 09.12.2016, durch den gegen den Betroffenen eine Geld-buße in Höhe von 100,– Euro festgesetzt worden ist, verworfen, da der Betroffene ohne Entschuldigung im Termin ausgeblieben sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hält den Antrag für begründet.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, da das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt worden ist.

Die Rüge ist in zulässiger Weise ausgeführt worden.

Das Amtsgericht hat danach bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass es den Betroffenen mit Beschluss vom 06.04.2017 antragsgemäß von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden hatte.

Soweit das OLG Düsseldorf mit Beschluss von 04.04.2011 (VI-3 RBs 52/11 juris) und das OLG Brandenburg (VRS127, 38 f.) eine Rüge dann für unzulässig halten, wenn der Betroffene nicht geltend mache, welche sachliche Einlassung unberücksichtigt geblieben sei, folgt der Senat dem nicht.

Gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht einen Betroffenen auf dessen Antrag von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Das bedeutet, dass dem Entbindungsantrag eine Stellungnahme des Betroffenen vorausgegangen sein muss und sei es auch, dass diese darin besteht, sich nicht zu äußern. Insofern ist die Situation auch nicht mit derjenigen vergleichbar, in der eine rechtsfehlerhaft unterbliebene Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gerügt wird. Im letztgenannten Fall, bei dem eine Entscheidung über die Entbindung nicht getroffen oder der Antrag abgelehnt worden ist, lässt sich ohne weitere Ausführungen nicht beurteilen, ob überhaupt eine Äußerung des Betroffenen vorliegt, die rechtsfehlerhaft unberücksichtigt geblieben sein könnte. In einem Fall, in dem Entbindungsantrag stattgegeben worden ist, muss eine derartige Äußerung jedoch erfolgt sein. Eben diese Äußerung würde dadurch, dass ein Verwerfungsurteil erlassen wird, nicht berücksichtigt. Auch im Falle der Erklärung des Betroffenen, keine Angaben zur Sache machen zu wollen, liegt die Verletzung rechtlichen Gehörs darin, dass das Amts-gericht diese Erklärung nicht in der Zusammenschau mit dem übrigen Ergebnis der durchzuführenden Hauptverhandlung gewertet hat.

Im Übrigen wäre es ein Wertungswiderspruch, wenn in der Begründung des Zulassungsantrages die Mitteilung einer Einlassung verlangt würde, obwohl des Amtsgericht durch die Entbindung des Betroffenen zu erkennen gegeben hat, dass seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichts-punkte nicht erforderlich ist, das Gericht somit zu einer Sachentscheidung auch ohne den Betroffenen kommen werde und diese Sachentscheidung – von der der Betroffene ausgehen durfte- durch ein fehlerhaftes Übersehen der erfolgten Entbindung nicht erfolgt.

Da das Amtsgericht tatsächlich die erfolgte Entbindung vom persönlichen Erscheinen nicht beachtet und den Einspruch verworfen hat, war die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die sich aus diesem Grunde auch als begründet erweist. Dass auch der Verteidiger nicht zum Termin erschienen war, rechtfertigt die Verwerfung ebenfalls nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 09.03.2010, 2 SsRs 38/10 m.w.N.).

Die Sache war daher an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Trotz der Abweichung dieses Beschlusses von den Entscheidungen des OLG Düsseldorf und des OLG Brandenburg kommt eine Übertragung auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern nicht in Betracht (vgl. BGH Beschluss vom 14.09.2004 -4 StR 62/04 juris) und deshalb auch keine Vorlage zum Bundesgerichtshof (vgl. BGH Beschluss vom 28.07.1998 – 4 StR 166/98 juris).

Strafschärfende Verurteilung wegen einschlägiger Vorstrafe – Rechtsmittel – § 46 Abs. 2 StGB

Vor Gericht werden immer wieder Angeklagte zu einer erhöhten Strafe verurteilt, weil der Richter Vorstrafen strafschärfend berücksichtigt hat.

1.Einschlägige Vorstrafe

Was ist unter einer einschlägigen Vorstrafe zu verstehen?

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die vorherige Verhängung einer Strafe dann strafschärfend ins Gewicht fällt, wenn die Notwendigkeit spezialpräventiv auf den Täter einzuwirken erhöht ist, weil dieser die mit früheren Verurteilungen gesetzten Warnungen und Hemmschwellen außer Acht gelassen hat.

Der Hintergrund einer höheren Strafe ist somit, dass dieser eine erhöhte Warnfunktion im Hinblick auf die erneute Tatbegehung zugeschrieben wird.

2.Nicht jede Vorverurteilung kann berücksichtigt werden

Wann kann eine Strafe wegen einer Vorverurteilung erhöht werden?

So kann die mehrfache Begehung von Äußerungsdelikten mit der gleichen Stoßrichtung unproblematisch als einschlägig betrachtet werden. Ob es sich hierbei nun um eine Beleidigung oder eine Volksverhetzung handelt, ist soweit unerheblich. Problematisch ist die Strafschärfung allerdings dann, wenn die Delikte nur einen Ausschnitt aus den durch die Tatbestandsüberschrift erfassten Lebenssachverhalten darstellen. In diesen Fällen muss der Begriff der einschlägigen Vorverurteilung nämlich enger verstanden werden.

3.Rechtsmittel gegen Verurteilung wegen einschlägiger Vorstrafe

Zuweilen erfolgt eine Verurteilung wegen einer einschlägigen Vorstrafe zu Unrecht. Damit ein Revisionsgericht eine entsprechende Verurteilung überprüfen kann, muss in der Regel der der Vorverurteilung zugrunde liegende Sachverhalt aussagekräftig im Urteil mitgeteilt werden.

So hat das Oberlandesgericht Köln im Beschluss vom 02.06.2017, Az. III-1 RVs 117/17, das Urteil des Amtsgerichts Euskirchen aufgehoben, weil das Gericht den Begründunganforderungen nicht nachgekommen ist. Im zugrunde liegenden Fall war der Angeklagte mehr als 30 Jahre wegen Verkehrsstraftaten in Erscheinung getreten. Das Amtsgericht hatte den Angeklagten hatte die Vortaten als einschlägige Vorstrafen strafschärfend berücksichtigt. Das Oberlandesgericht bemängelte, dass seit der letzten Trunkenheitsfahrt mehr als 8 Jahre vergangen seien und eine strafschärfende Berücksichtigung wegen der Vorstrafen ausführlicher hätte begründet werden müssen.

4.Erfolgschancen des Rechtsmittels – Revision

Dem zuvor geschilderten Sachverhalt kann entnommen werden, dass eine Überprüfung des Urteils bei strafschärfender Berücksichtigung so genannter einschlägiger Vorstrafen durchaus lohnenswert sein kann. Viele Gerichte sind schlicht überlastet, so dass sich auch immer wieder Fehler bei der Urteilsbegründung einschleichen oder aber Vorstrafen schlicht zu Unrecht strafschärfend berücksichtig werden.

Als Fachanwalt für Strafrecht berate ich Sie gern bei der Überprüfung Ihres Urteils. Bitte beachten Sie allerdings die Rechtsmittelfristen.

Schäden nach Freispruch

Was bekommen eigentlich die Erben?

 

Wenn Personen in den Fokus von Strafverfolgungsbehörden geraten, werden diese in der Regel nicht lediglich psychisch belastet. Die finanziellen Folgen können zum Teil ein gravierendes Ausmaß annehmen. In erster Linie sind hier die Anwalts- und Gerichtskosten zu erwähnen.

 

Was passiert bei einer Verurteilung?

Diese Kosten verbleiben bei einer rechtskräftigen Verurteilung beim Angeklagten, § 465 StPO. Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann hiervon abgesehen werden, § 74 JGG.

 

Was passiert mit den eigenen Kosten beim Freispruch?

Sofern der ehemalige Angeklagte frei gesprochen wird, hat er selbstverständlich keine Gerichtskosten etc. zu tragen. Zusätzlich gewährt ihm das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) einen Entschädigungsanspruch.

 

Haben die Erben einen Anspruch?

Das OLG Oldenburg (Urteil vom 01.11.2013, Az. 6 U 154/13) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob Fahrtkosten, welche den Eltern nach einer fälschlicherweise entzogen Fahrerlaubnis entstanden waren, von der Staatskassen zu tragen sind.

Im zugrunde liegenden Fall war der Angeklagte mittlerweile verstorben und es stellte sich die Frage, ob die Eltern die Fahrtkosten als Erben geltend machen konnten.

Während das Landgericht diesem Anspruch stattgegeben hatte, wies das Oberlandesgericht den Anspruch zurück. Es sei nur ein eigener Schaden der Eltern geltend gemacht worden. Es könne jedoch nur ein Anspruch auf die Erben übergehen, der selbst beim Verstorbenen entstanden ist.

 

Der Fall zeigt, dass eine frühzeitige anwaltliche Beratung der Eltern sinnvoll gewesen wäre.

 

Kriminalitätsentwicklung in Bielefeld in 2013

Die Jahresbilanz für das Jahr 2013 liegt nun vor.

– Die Anzahl der Straftaten ist rückläufig. Während im Vorjahr 26.0001 Straftaten registriert wurden, waren es im Jahr 2013 nur 26.916.

– Die Aufklärungsquote erreicht seit dem Jahr 2000 seinen höchsten Wert. Das Polizeipräsidium Bielefeld liegt mit einer Quote von 59,6 % deutlich über dem Landesschnitt.

– Das Polizeipräsidium Bielefeld hat im Jahr 2013 als Kriminalhauptstelle in 40 Fällen Mordkommissionen im Bezirk OWL geführt.

– In Bielefeld ging die Gewaltkriminalität um 7,5 % zurück. Es wurden 724 Delikte registriert.

– Bei der Straßenkriminalität ist eine Abnahme um 15,4% zu verzeichnen. Während im Vorjahr 6575 Delikte verzeichnet wurden, waren es im Jahr 2013 nur 5561.

– Es wurden 718 Wohnungseinbrüche in Bielefeld registriert. Dies sind 24 Einbrüche weniger als im Vorjahr. In diesem Zusammenhang weist die Polizei auf die Landeskampagnen „Riegel Vor, Sicher ist Sicher“ und auf die landesweiten Präventionstage zum Einbruchsschutz hin.

– Die Computerkriminalität hat mit 60,2 % stark zugenommen, von 168 Fällen auf 447.

Keine erkennungsdienstliche Behandlung Minderjähriger

In einem unserer Strafverfahren wurde unser Mandant einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen, d.h. die Polizei hatte ihm Fotos und Fingerabdrücke abgenommen. Diese Maßnahme erfolgte in Abwesenheit und ohne Einverständnis der erziehungsberechtigten Mutter des Mandanten. Der Mutter wurde lediglich mitgeteilt, dass ihr Sohn zu einer Zeugenaussage bei der Polizei erscheinen solle. Das Amtsgericht Bielefeld hat nun auf unsere Beschwerde festgestellt, dass die erkennungsdienstliche Behandlung rechtswidrig war.

Mitgeteilt durch den Strafverteidiger Matthias Kiunka, Kanzlei Rudolph, Schillerstr. 1, 33609 Bielefeld

Amtsgericht Bielefeld, Beschluss vom 13.12.2013, Aktenzeichen 9 GS-845 Js 1403/13-6560/13

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren

gegen XXX
Verteidiger: Rechtsanwalt Matthias Kiunka, Gustav-Radbruch-Str. 7, 32423 Minden

wird auf den Antrag des Beschuldigten vom 30.07.2013 festgestellt, dass die Durchführung der er¬ken¬nungs¬dienst¬li¬chen Behandlung des Beschuldigten am 24.07.2013 rechtswidrig war.

Gründe:

Der Beschuldigte hat sich am 24.07.2013 mit der Durchführung seiner erkennungsdienstlichen Behandlung einverstanden erklärt. Dieses Einverständnis hat aber keine rechtliche Bedeutung, da es nicht in Anwesenheit seiner erziehungsberechtigten Mutter erfolgte. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Mut¬ter telefonisch mit der Maßnahme einverstanden erklärt hatte. Dieses Einverständnis erfolgte lediglich aufgrund der telefonischen Information, die ihr der Beschuldigte übermittelte. Die Mutter konnte daher den Sachverhalt bei weitem nicht so überblicken, als wenn sie während der Vernehmung anwesend gewesen wäre. Auf diese Anwesenheit während der Vernehmung hätte sie aber ein Recht gehabt, § 67 JGG. Darauf hätte sie zwar verzichten können. Das setzt aber voraus, dass sie gewusst hätte, dass auf ihren Sohn überhaupt eine Beschuldigtenvernehmung zukam.

Ob die Mutter von dem Termin überhaupt Kenntnis hatte, lässt sich der Akte nicht entnehmen. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, hätte sie – nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Beschuldigten – lediglich von einer Ladung ihres Sohnes als Zeugen Kenntnis haben können. Durch den Verzicht auf die Anwesenheit in einem solchen Termin hätte sie keinen Verzicht auf die Anwesenheit in einer Beschuldigtenvernehmung erklärt.

Demnach ist festzuhalten, dass mangels wirksamen Einverständnisses keine Grundlage für die erkennungsdienstliche Behandlung vorlag.

Bielefeld, 13.12.2013

DNA-Gutachten kann nicht schlicht „wegen Bedeutungslosigkeit“ abgelehnt werden

1. Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass die Blutanhaftungen an einem am Tatort sichergestellten Papierfetzen von einer bestimmten Person stammt, kann nicht ohne weitere Begründung „wegen Bedeutungslosigkeit“ abgelehnt werden.

2. Im Fall der Glaubwürdigkeit einer Zeugin bedarf es der Darlegung, warum das Gericht die zu beweisende Tatsache auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe.

3.  Die Anforderungen an die Begründung entsprechen den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen.

Leitsätze der Kanzlei Rudolph

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.05.2013, Az. 2 StR 29/13

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Aachen vom 24. August 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ferner hat es ein sichergestelltes Messer eingezogen. Die auf den Maßregelausspruch nach § 63 StGB beschränkte, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg und führt zur Aufhebung des gesamten Urteils.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte in Gegenwart der Zeugin H.   deren Lebensgefährten erstochen. Das Gericht hat die Tat als Mord (§ 211 StGB) bewertet und ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aufgrund erheblicher Alkoholisierung im Zusammenwirken mit der infolge langjährigen Alkoholmissbrauchs eingetretenen Persönlichkeitsveränderung gemäß § 21 StGB erheblich vermindert war. Da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Angeklagte ein der Tat unmittelbar vorangegangenes Gespräch zwischen der Zeugin H.   und ihrem Lebensgefährten fälschlicherweise als gegen sich gerichtet gedeutet hat und in ihm hierdurch ein aggressiver Impuls ausgelöst wurde, durch den er zu der Tötung hingerissen wurde, hat das Gericht – auch mit Blick auf ein unter normalen Umständen nicht erkennbares Tatmotiv – nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit auch aufgehoben im Sinne des § 20 StGB war. Es hat daher den Angeklagten freigesprochen und auf Grundlage der festgestellten verminderten Steuerungsfähigkeit seine Unterbringung gemäß § 63 StGB angeordnet.

2. Der Maßregelauspruch war aufzuheben. Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB setzt die Begehung einer rechtswidrigen Tat voraus. Diese hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, denn es hat einen die Anlasstat betreffenden Beweisantrag unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt.

a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der die Tat bestreitende Angeklagte hat in der Hauptverhandlung den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache gestellt, dass die Blutanhaftungen an einem am Tatort sichergestellten Papierfetzen von der Zeugin H.     stammten, dass es sich dabei um ein Vollprofil der DNA der Zeugin handelte und dass Mischspuren bzw. Teilprofile Dritter nicht vorhanden waren. Das Landgericht hat den Antrag ohne weitere Begründung „wegen Bedeutungslosigkeit“ abgelehnt.

b) Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Geht es wie hier letztlich um die Glaubwürdigkeit einer Zeugin, bedarf es der Darlegung, warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe. Die Anforderungen an die Begründung entsprechen grundsätzlich den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2006 – 4 StR 251/06, NStZ-RR 2007, 84, 85 mwN; Beschluss vom 27. März 2012 – 3 StR 47/12).

Daran fehlt es hier. Die unter Beweis gestellte Tatsache hätte die Schlussfolgerung zugelassen, dass die Zeugin H.   während ihres Aufenthalts in der Wohnung des Angeklagten von ihrem Lebensgefährten körperlich misshandelt wurde und daher ein Tatmotiv hatte. Das Landgericht hat in seinem Beschluss indes weder mitgeteilt, dass es diesen möglichen Schluss nicht ziehen wollte, noch hat es seine Entscheidung mit konkreten Erwägungen begründet. Die Bedeutungslosigkeit lag auch nicht auf der Hand, was eine fallbezogene Begründung ausnahmsweise entbehrlich hätte machen können (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2009 – 2 StR 363/09, StV 2010, 557; Beschluss vom 27. März 2012 – 3 StR 47/12 mwN).

c) Auf diesem Verfahrensfehler beruht der Maßregelausspruch, denn der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei gesetzeskonformer Behandlung des Beweisantrags eine für die Anordnung der Unterbringung erforderliche rechtswidrige Tat nicht hätte feststellen können.

3. Die Aufhebung des Maßregelausspruchs hat aufgrund des bestehenden inneren Zusammenhangs auch die Aufhebung des Freispruchs zur Folge.

a) Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldunfähigkeit nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17; BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, StraFo 2013, 165 mwN).

Letzteres kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, denn die Annahme des Landgerichts, die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei zur Tatzeit nicht ausschließbar aufgehoben, gründet maßgeblich auf den Feststellungen zur Anlasstat. Sollte das neue Tatgericht insbesondere zu dem Geschehen unmittelbar vor der Tat veränderte Feststellungen treffen, könnte dies auch eine veränderte Bewertung zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten nach sich ziehen.

b) Die Beschränkung der Revision des Angeklagten auf die Maßregelanordnung ist unwirksam, weil sowohl die Unterbringung nach § 63 StGB als auch der auf § 20 StGB gründende Freispruch von den Feststellungen der Strafkammer zur Anlasstat abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht. Da nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr eine Bestrafung des Angeklagten möglich ist, wenn sich aufgrund veränderter Feststellungen zur Anlasstat seine Schuldfähigkeit herausstellen sollte, lässt sich die Wirksamkeit einer isolierten Anfechtung der Maßregelanordnung nicht mehr mit der Erwägung rechtfertigen, dass aufgrund des Verbots der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) unabhängig von der Bewertung der Schuldfrage in jedem Fall wieder auf Freispruch erkannt werden müsste (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12). Dies wäre nur dann der Fall, wenn die den Freispruch tragende Schuldunfähigkeit des Angeklagten unabhängig von der konkret festgestellten Tat feststünde (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 – 5 StR 199/11).

Deal im Strafverfahren, Dokumentationspflicht

Bundesgerichtshof, Urteil des 2. Strafsenats vom 10.7.2013, Az. 2 StR 195/12 –

Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 19.03.2013 (2 BvR 2628/10) zum Deal im Strafverfahren hatte der Bundesgerichtshof erstmals unter Beachtung dieser Maßstäbe über die Transparenz und Dokumentation von Gesprächen mit dem Ziel der Verständigung zu entscheiden.

Im zugrunde liegenden Fall hatte das Landgericht Koblenz im Urteil vom 6. September 2011 (Az. 2050 Js 12 603/07 – 4 KLs) die Verurteilung des Angeklagten nach einer Verständigung gemäß § 257c StPO vorgenommen.

Im Laufe des Verfahrens waren Gespräche während einer Verhandlungspause geführt worden, worauf der Vorsitzende in der Hauptverhandlung unter Mitteilung des Ergebnisses hingewiesen hatte. Im Protokoll war nicht vermerkt, dass auch der wesentliche Inhalt der Gespräche bekannt gemacht wurde. Dies beanstandete die Revision mit einer Verfahrensrüge.

Darin sah der Bundesgerichtshof keine unzulässige Protokollrüge, sondern eine durchgreifende Verfahrensbeanstandung. Durch die Normen der §§ 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a StPO soll Transparenz in der Hauptverhandlung des Verfahrens herbeiführt werden, indem der wesentliche Inhalt der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung mit dem Ziel einer Verständigung geführt werden, mitgeteilt wird. Damit eine effektive Kontrolle möglich ist, ist dies auch in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen. Dessen Schweigen beweist, dass keine Mitteilung erfolgt ist. Dies ist ein Verfahrensfehler, auf dem das anschließende Urteil in der Regel beruht.

Beweiswert von DNA-Spuren; Anforderungen an die Urteilsgründe

1. Das Tatgericht ist nicht daran gehindert, seine Überzeugungsbildung allein auf DNA-Spuren zu stützen, wenn ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit vorhanden ist, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Im Einzelfall kann es revisionsrechtlich sowohl hinzunehmen sein, dass sich das Tatgericht eine entsprechende Überzeugung bildet, als auch, dass es sich dazu aufgrund vernünftiger Zweifel nicht in der Lage sieht.

2. Einem Analyseergebnis kommt kein unumstößlicher Beweiswert zu, der eine Gesamtschau der weiter vorhandenen be- und entlastenden Indizien entbehrlich macht. Auch wenn das Ergebnis eines DNA-Vergleichsgutachtens lediglich ein Indiz darstellt, das hinsichtlich der Spurenverursachung keinen zwingenden Schluss erlaubt, hindert dies allein das Tatgericht nicht, aus dem Ergebnis einen möglichen Schluss auf die Spurenverursachung und die Täterschaft zu ziehen.

3. Damit das Ergebnis einer Wahrscheinlichkeitsberechnung, welches auf einer DNA-Untersuchung beruht, plausibel ist, muss vom Tatgericht mitgeteilt werden, wie viele Systeme untersucht wurden, ob diese unabhängig voneinander vererbbar sind und mithin die Produktregel anwendbar ist, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalkombination zu erwarten ist. Sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, ist außerdem darzulegen, inwieweit dies bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war.

4. Da die durch eine DNA-Analyse ermittelte Wahrscheinlichkeit einer Spurenverursachung lediglich statistische Aussagekraft besitzt, wird zwar eine Würdigung aller Beweisumstände nicht überflüssig, jedoch hängt das Maß der gebotenen Darlegung in den Urteilsgründen von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab.

Leitsätze der Kanzlei Rudolph

BGH, Urteil vom 21.03.2013, Az. 3 StR 247/12

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 2. März 2012 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafen aus drei früheren Urteilen und Auflösung dort gebildeter Gesamtstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte suchte am Morgen des 6. Mai 2009 einen Autohandel in Duisburg auf, um dessen Inhaber T. unter Verwendung eines Elektroschockgeräts zu berauben. Während vermeintlicher Verkaufsverhandlungen ging der Angeklagte auf den halb abgewandt stehenden T. zu und führte das eingeschaltete Elektroschockgerät in dessen Richtung. Da der Angegriffene sich wehrte, versetzte ihm der Angeklagte im Rahmen eines Kampfes schließlich Kniestöße ins Gesicht, die zu Frakturen des Nasenbeins sowie der Nasenhöhle führten und den Geschädigten kampfunfähig machten. Der Angeklagte entnahm sodann aus dessen Hosentaschen 3.600 €. Zudem nahm er die Jacke des Opfers an sich, in der sich ein Portemonnaie mit Bargeld befand.

Der Angeklagte hat sich zum Tatvorwurf nicht eingelassen. Zu seiner Täterschaft hat das Landgericht im Urteil ausgeführt, dass diese sich aus den DNA-Spuren ergebe, die an der Nylonschlaufe und der Batterie des vom Täter mitgebrachten Elektroschockgeräts sowie an einem vom Täter berührten Autoschlüssel festgestellt worden seien. Nach näherer Darstellung der jeweils acht untersuchten Merkmalsysteme hat die Strafkammer den Schluss gezogen, dass der Angeklagte der Spurenverursacher gewesen sei, da das für ihn bestimmte DNA-Identifizierungsmuster statistisch unter mehr als zehn Milliarden Personen kein zweites Mal vorkomme.

II. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der näheren Erörterung bedarf, dass das Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten allein auf die Übereinstimmung von DNA-Merkmalen gestützt hat.

Die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO), das sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat. Dazu kann es zu seiner Überzeugungsbildung auch allein ein Beweisanzeichen heranziehen (vgl. hinsichtlich Fingerabdrücken bereits BGH, Urteil vom 11. Juni 1952 – 3 StR 229/52, juris Rn. 4 ff.; zu Schriftsachverständigengutachten BGH, Beschluss vom 24. Juni 1982 – 4 StR 183/82, NJW 1982, 2882, 2883). Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder sich so weit von einer festen Tatsachengrundlage entfernt, dass die gezogenen Schlussfolgerungen sich letztlich als reine Vermutungen erweisen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 6. Dezember 2007 – 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146, 147 mwN; vom 26. Juli 1990 – 4 StR 301/90, BGHR StGB § 306 Beweiswürdigung 3 mwN). Dabei gehören von gesicherten Tatsachenfeststellungen ausgehende statistische Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu den Mitteln der logischen Schlussfolgerung, welche dem Tatrichter grundsätzlich ebenso offenstehen wie andere mathematische Methoden (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1989 – 4 StR 419/89, BGHSt 36, 320, 325). Nach diesen Prüfungsmaßstäben ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden.

1. Die hier festgestellte Übereinstimmung zwischen den Allelen des Angeklagten und auf Tatortspuren festgestellten Allelen in den acht untersuchten Systemen bietet angesichts der statistischen Häufigkeit des beim Angeklagten gegebenen DNA-Identifizierungsmusters eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts.

Dabei ist davon auszugehen, dass es sich bei der Merkmalswahrscheinlichkeit (oder Identitätswahrscheinlichkeit) lediglich um einen statistischen Wert handelt. Dieser gibt keine empirische Auskunft darüber, wie viele Menschen tatsächlich eine identische Merkmalkombination aufweisen, sondern sagt lediglich etwas dazu aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit aufgrund statistischer, von einer beschränkten Datenbasis ausgehender Berechnungen zu erwarten ist, dass eine weitere Person die gleiche Merkmalkombination aufweist. Diese Wahrscheinlichkeit lässt sich für die Bewertung einer festgestellten Merkmalsübereinstimmung heranziehen. Je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass zufällig eine andere Person identische Merkmale aufweist, desto höher kann das Tatgericht den Beweiswert einer Übereinstimmung einordnen und sich – gegebenenfalls allein aufgrund der Übereinstimmung – von der Täterschaft überzeugen (vgl. einerseits BGH, Urteil vom 12. August 1992 – 5 StR 239/92, BGHSt 38, 320, 324: Wahrscheinlichkeit von 1 : 6.937 reicht allein zum Nachweis der Täterschaft nicht aus; andererseits BGH, Beschluss vom 21. Januar 2009 – 1 StR 722/08, NJW 2009, 1159: Seltenheitswert im Millionenbereich, im konkreten Fall 1 : 256 Billiarden, kann ausreichen; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2011 – 2 StR 362/11, NStZ 2012, 403, 404; zur Vaterschaftsfeststellung BGH, Urteil vom 12. Januar 1994 – XII ZR 155/92, NJW 1994, 1348, 1349).

Dass sich auch bei einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit (selbst im Milliarden- oder Billionenbereich) wegen der statistischen Herangehensweise die Spurenverursachung durch eine andere Person niemals völlig ausschließen lässt, hindert das Tatgericht nicht daran, seine Überzeugungsbildung gegebenenfalls allein auf die DNA-Spur zu stützen; denn eine mathematische, jede andere Möglichkeit ausschließende Gewissheit ist für die Überzeugungsbildung nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – VI ZR 132/10, juris Rn. 8; Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 73 mwN). Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Ob sich das Tatgericht allein aufgrund einer Merkmalübereinstimmung mit einer entsprechenden Wahrscheinlichkeit von der Täterschaft zu überzeugen vermag, ist mithin vorrangig – wie die Beweiswürdigung ansonsten auch – ihm selbst überlassen (vgl. allgemein zur Bewertung des Beweiswerts einer DNA-Analyse durch das Tatgericht BVerfG, Beschluss vom 18. September 1995 – 2 BvR 103/92, NJW 1996, 771, 773 mwN; weitergehend zum Beweiswert BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2000 – 2 BvR 1741/99 u.a., BVerfGE 103, 21, 32). Im Einzelfall kann es revisionsrechtlich sowohl hinzunehmen sein, dass sich das Tatgericht eine entsprechende Überzeugung bildet, als auch, dass es sich dazu aufgrund vernünftiger Zweifel nicht in der Lage sieht.

Dem stehen die Urteile des 5. Strafsenats vom 21. August 1990 (5 StR 145/90, BGHSt 37, 157, 159) und 12. August 1992 (5 StR 239/92, BGHSt 38, 320, 322 ff.) nicht entgegen. Zum einen gingen die Entscheidungen insbesondere hinsichtlich der Anzahl der (damals lediglich drei) untersuchten Merkmale und des Stands der Untersuchungsabläufe von anderen Grundlagen aus. Zum anderen ist ihnen kein allgemeiner Rechtssatz zu entnehmen, dass das Ergebnis einer DNA-Analyse niemals allein zur Überzeugungsbildung von der Täterschaft ausreichen könne. Vielmehr weisen die Urteile darauf hin, dass einem Analyseergebnis kein unumstößlicher Beweiswert zukomme, der eine Gesamtschau der gegebenenfalls weiter vorhandenen be- und entlastenden Indizien entbehrlich mache. Dass dem Tatgericht generell versagt ist, dem als bedeutsames Indiz zu wertenden Untersuchungsergebnis die maßgebliche oder alleinige Bedeutung bei der Überzeugungsbildung beizumessen, ergibt sich daraus nicht. Hiervon ist auch der Senat in einer früheren Entscheidung (BGH, Beschluss vom 6. März 2012 – 3 StR 41/12, BGHR StPO § 261 Identifizierung 21) nicht ausgegangen. Vielmehr hat er im Anschluss an die vorgenannte Rechtsprechung hervorgehoben, dass das Ergebnis eines DNA-Vergleichsgutachtens lediglich ein Indiz darstelle, das jedoch hinsichtlich der Spurenverursachung keinen zwingenden Schluss erlaube. Dies allein hindert indes das Tatgericht nicht, aus dem Ergebnis einen möglichen Schluss auf die Spurenverursachung und die Täterschaft zu ziehen.

2. Das Landgericht hat die Grundlagen zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit in einer Weise dargelegt, die dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Berechnung auf ihre Plausibilität ermöglicht (vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 2012 – 3 StR 41/12, BGHR StPO § 261 Identifizierung 21 mwN). Dazu sind in den Urteilsgründen tabellarisch die acht untersuchten Merkmalsysteme und die Anzahl der Wiederholungen im Einzelnen aufgeführt worden. Der Senat sieht insofern – auch zur Klarstellung und Präzisierung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. März 2012 – 3 StR 41/12, aaO; vom 3. Mai 2012 – 3 StR 46/12, BGHR StPO § 261 Identifizierung 23; vom 15. Mai 2012 – 3 StR 164/12) – Anlass zu dem Hinweis, dass eine solche umfangreiche Darstellung grundsätzlich nicht erforderlich ist.

 

Das Tatgericht hat in den Fällen, in dem es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und ob die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92, BGHSt 39, 291, 296 f.; vom 21. September 2004 – 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326). Dabei dürfen die Anforderungen, welche das Tatgericht an das Gutachten zu stellen hat, nicht mit den sachlich-rechtlichen Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe gleichgesetzt werden. Mögliche Fehlerquellen sind nur zu erörtern, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92, aaO, 297 f.). Dies beeinträchtigt die Rechtsposition des Angeklagten nicht, da er etwaige Fehler des Sachverständigengutachtens sowohl in der Hauptverhandlung als auch mit der Verfahrensrüge im Revisionsverfahren geltend machen kann.

Danach reicht es für das Revisionsgericht zur Überprüfung, ob das Ergebnis einer auf einer DNA-Untersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung plausibel ist, im Regelfall aus, wenn das Tatgericht mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob diese unabhängig voneinander vererbbar sind (und mithin die Produktregel anwendbar ist), ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalkombination zu erwarten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2011 – 2 StR 362/11, NStZ 2012, 403, 404; vom 7. November 2012 – 5 StR 517/12, NStZ 2013, 179; zu ggf. geringeren Anforderungen bei einer Vielzahl weiterer gewichtiger Indizien BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2012 – 1 StR 377/12, NStZ 2013, 179, 180). Sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, ist zudem darzulegen, inwieweit dies bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war.

3. Die weitere Darstellung der Beweiswürdigung ist hier nicht lückenhaft, auch wenn die Urteilsgründe keine ausdrückliche Gesamtwürdigung aller beweiserheblichen Umstände enthalten. Zwar hat das Tatgericht zu beachten, dass die (durch eine DNA-Analyse ermittelte) hohe Wahrscheinlichkeit einer Spurenverursachung durch den Angeklagten eine Würdigung aller Beweisumstände gerade mit Blick auf die bloß statistische Aussagekraft nicht überflüssig macht (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juli 1994 – 3 StR 225/94, NStZ 1994, 554, 555; vom 12. August 1992 – 5 StR 239/92, BGHSt 38, 320, 324; zur Vaterschaftsfeststellung BGH, Urteil vom 3. Mai 2006 – XII ZR 195/03, BGHZ 168, 79, 82 f.). Allerdings hängt das Maß der gebotenen Darlegung in den Urteilsgründen von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt (etwa BGH, Urteil vom 16. März 2004 – 5 StR 490/03, juris Rn. 11). Nach den konkreten Umständen sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, welche den Beweiswert der Merkmalübereinstimmung schmälern oder allgemein gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechen könnten und daher in der Beweiswürdigung näher zu erörtern gewesen wären.

4. Schließlich hat das Landgericht den Zusammenhang zwischen den DNA-Spuren und der Tat ausreichend dargelegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2011 – 2 StR 362/11, NStZ 2012, 403, 404; vom 23. Oktober 2012 – 1 StR 377/12, NStZ 2013, 179, 180).

Kein Computerbetrug durch Einlösen eines irrtümlich zugesandten Gutscheins

1. Das Einlösen eines erkennbar aus Versehen zugesandten Gutscheins ist nicht strafbar.

2. Der Tatbestand des Computerbetrugs gemäß § 263a StGB ist nicht einschlägig, da durch das Einlösen des Gutscheins nicht zugleich konkludent die entsprechende materielle Berechtigung behauptet wird.

3. Eine Täuschung durch Unterlassen scheidet mangels Garantenpflicht aus, da weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Pflicht der einlösenden Person gegenüber dem Versender des Gutscheins zur Offenbarung der fehlenden materiellen Berechtigung besteht.

4. Ebenfalls ist die 4. Variante des § 263a StGB, welcher nach dem gesetzgeberischen Konzept eine Auffangfunktion zukommt, nicht einschlägig, da das datenverarbeitungstechnisch richtige Einlösen eines Gutscheins keine Manipulation in diesem Sinne darstellt.

Leitsätze der Kanzlei Rudolph

 

LG Gießen · Beschluss vom 29. Mai 2013 · Az. 7 Qs 88/13

Tenor

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Gießen ermittelt gegen unbekannt wegen des Verdachts der Unterschlagung und des Computerbetrugs.

Die Anzeigeerstatterin kaufte und bezahlte beim Internet-Anbieter … einen Geschenkgutschein über 30,- €, den sie per Internet an die zu Beschenkende unter der Email-Adresse „…“ versenden wollte. Durch einen Eingabefehler der Anzeigeerstatterin versandte sie den Gutschein an die Email-Adresse „…“. Eine derzeit unbekannte Person hat den für sie erkennbar nicht bestimmten Online-Gutschein der Fa. … durch Eingabe des Gutschein-Codes bei einer Bestellung eingelöst.

Die Staatsanwaltschaft beantragte beim Amtsgericht einen Durchsuchungsbeschluss gemäß § 103 StPO gegen die Fa. …, um die zu der genannten Email-Adresse gehörenden weiteren Daten zu erlangen, mit denen eine Identifizierung der den Gutschein einlösenden Person erfolgen sollte.

Das Amtsgericht wies den Antrag zurück, da eine Strafbarkeit der unbekannten Person nicht in Betracht komme.

Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde, der das Amtsgericht nicht abhalf.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Das Amtsgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses mit zutreffenden Gründen abgelehnt, da es an einem Tatverdacht fehlt.

Das Einlösen des erkennbar irrtümlich an die unbekannte Person versandten Gutscheins ist nicht strafbar.

1. Für eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung (§ 246 StGB) fehlt es an einer beweglichen Sache, da es sich lediglich um einen „virtuellen“ Gutschein handelt.

2. Weil der den Gutschein einlösenden Person weder gegenüber der Anzeigerstatterin, noch gegenüber der Fa. … oder der zu Beschenkenden eine Vermögensbetreuungspflicht oblag, liegt keine Untreue (§ 266 StGB) vor.

3. Die Vorschriften bezüglich des strafbaren Umgangs mit Daten (§§ 202a bis 202c, 303a und 303b StGB) sind nicht einschlägig.

4. Der Betrugstatbestand des § 263 StGB greift nicht, weil es an der Täuschung und Irrtumserregung einer natürlichen Person fehlt.

5. Schließlich scheidet eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs gemäß § 263a StGB aus.

a) Eine Beeinflussung des Ergebnisses eines Datenverarbeitungsvorgangs durch unbefugte Verwendung von Daten (§ 263a Abs. 1 Variante 3 StGB) liegt nicht vor.

Wie das Amtsgericht bereits ausgeführt hat, ist die Verwendung der Daten dann unbefugt, wenn sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 263a StGB Rdnr. 11). Abzustellen ist dabei auf die Berechtigte des Datenverarbeitungsvorgangs, die Fa. …, der gegenüber die unbekannte Person den Code zur Einlösung des Gutscheins eingab. Nicht erfasst von § 263a StGB ist die nur im Verhältnis zu einem Dritten – hier der Anzeigeerstatterin – unberechtigte Datenverwendung (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 263a Rdnr. 11b).

Mit der Eingabe des Gutschein-Codes hat die unbekannte Person die Fa. … bzw. deren Mitarbeiter aber nicht über eine entsprechende Berechtigung getäuscht. Denn durch die Einlösung des Gutscheins wird gegenüber der Fa. … nicht zugleich konkludent die entsprechende materielle Berechtigung, d.h. der Anspruch, behauptet. Ein Mitarbeiter der Fa. … hätte sich bei Vorlage eines entsprechenden Gutscheins in Papierform nämlich keine Gedanken über die Berechtigung der Inhabers des Gutscheins gemacht, sondern lediglich überprüft, ob der Gutschein von der Fa. … an den Einlöser ausgegeben wurde (vgl. BGHSt 46, 196 – Verfügung über eine irrtümliche Kontogutschrift). Denn die Fa. … wird mit der Einlösung von ihren Leistungspflichten frei.

Auch eine Täuschung durch Unterlassen liegt nicht vor. Eine solche betrugsspezifisch täuschende Verwendung des Gutscheins wäre nur gegeben, wenn die unbekannte Person auf die fehlerhafte Zusendung des Gutscheins hätte hinweisen müssen. Eine Strafbarkeit durch Unterlassen eines solchen Hinweises setzt eine entsprechende Offenbarungspflicht im Sinne einer Garantenpflicht nach § 13 StGB voraus. Eine Garantenpflicht besteht jedoch nicht (vgl. BGHSt 39, 392 – Verfügung über eine irrtümliche Kontogutschrift). Es ist weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Pflicht der unbekannten Person gegenüber der Fa. … zur Offenbarung der fehlenden materiellen Berechtigung ersichtlich. Auch hat die unbekannte Person die „Gefahrenlage“ nicht herbeigeführt, da ihr der Gutschein unaufgefordert zugesandt wurde. Schließlich ergibt sich eine solche Pflicht nicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, da auch insoweit ein besonders Vertrauensverhältnis vorausgesetzt wird.

Es fehlt damit an einem gegenüber der Fa. … täuschenden Charakter der Einlösung des Online-Gutscheins.

b) Ebenso ist die 4. Variante des § 263a StGB (Beeinflussung durch sonstige unbefugte Einwirkung auf den Ablauf) nicht erfüllt.

Zwar kommt dieser Variante nach dem gesetzgeberischen Konzept eine Auffangfunktion für solche strafwürdigen Manipulationen zu, die nicht unter die Varianten 1 bis 3 fallen (vgl. Fischer, § 263a Rdnr. 18). Jedoch stellt das datenverarbeitungstechnisch richtige Einlösen eines Gutscheins keine derartige Manipulation dar. Gegenüber der Fa. … wird nicht unbefugt gehandelt. Denn auf die Anweisung für den Verarbeitungsvorgang wird nicht manipulativ eingewirkt, auch der maschinelle Ablauf des Programms wird nicht verändert. Das lediglich im Verhältnis zur Anzeigeerstatterin materiell unberechtigte Verwenden des Gutscheins wird von § 263a StGB auch in dieser Variante nicht erfasst.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.

 

Zahlungserleichterungen bei einer Geldstrafe i.H.v. 30 Tagessätzen

1. Da die Entscheidung über Zahlungserleichterungen ein eigener Strafzumessungsakt ist, kann ihr Unterbleiben isoliert angefochten werden.

 

2. Auch bei einer geringen Anzahl von Tagessätzen (30 TS) muss der Grundsatz beachtet werden, dass dem Angeklagten das zum Lebensunterhalt Unerlässliche verbleibt.

 

3. Wird die Berufung auf die Herabsetzung einer Geldstrafe beschränkt und erfolgt hierdurch eine erhebliche Milderung der Sanktion, können dem Angeklagten nicht gemäß § 473 Abs. 1 StPO die Kosten einer Berufungsverhandlung auferlegt werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger keinen konkreten Antrag zur Strafmaßreduzierung gestellt hat.

 

4. Wird die Beschränkung erst nachträglich in der Hauptverhandlung vorgenommen, sind hiervon die Kosten auszunehmen, die bei einer von vornherein erklärten Beschränkung vermeidbar gewesen wären.

 

KG Berlin 4. Straf­senat, Beschluss vom 14.08.2012, Az. (4) 161 Ss 125/12 (159/12), 4 Ws 66/12

 

Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. April 2012 wird der Rechtsfolgenausspruch dahin ergänzt, dass der Angeklagten gestattet wird, die Geldstrafe in monatlichen Teilbeträgen von 50 (fünfzig) Euro, beginnend mit dem auf die Bekanntgabe dieser Entscheidung folgenden Monat, jeweils bis zum 15. eines Monats, zu zahlen. Diese Vergünstigung entfällt, wenn die Angeklagte schuldhaft einen Teilbetrag nicht rechtzeitig bezahlt.

2. Auf die sofortige Beschwerde der Angeklagten wird die Kosten- und Auslagenentscheidung in dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. April 2012 dahingehend abgeändert, dass der Landeskasse Berlin die Kosten des Berufungsverfahrens und die der Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen mit Ausnahme derjenigen auferlegt werden, die bei einer sofortigen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch vermeidbar gewesen wären; diese hat die Angeklagte zu tragen.

3. Die Kosten der Revision und die der Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last mit Ausnahme der Kosten und Auslagen, die bei einer rechtzeitigen Beschränkung des Rechtsmittels nicht angefallen wären. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat die Angeklagte wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30,00 Euro verurteilt. Auf die Berufung der Angeklagten, die im Hauptverhandlungstermin wirksam auf das Strafmaß beschränkt worden war, hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts dahingehend geändert, dass die Angeklagte zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 20,00 Euro verurteilt worden ist. Zugleich hat es nach § 473 Abs. 1 StPO der Angeklagten die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

1. Die Revision, die sich nach ihrer Beschränkung auf die Sachrüge allein gegen das Unterlassen der Zahlungserleichterung nach § 42 StGB richtet, ist zulässig, weil die Entscheidung über Zahlungserleichterungen grundsätzlich ein eigener Strafzumessungsakt ist, und deshalb ihr Unterbleiben auch isoliert angefochten werden kann (vgl. LK/Häger, StGB 11. Aufl., § 42 Rdn. 21). Sie ist auch begründet.

Angesichts der vom Landgericht festgestellten wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten, die als Alleinerziehende mit drei Kindern einschließlich des Anteils für die Miete Arbeitslosengeld II in Höhe von 1047 Euro zuzüglich Elterngeld und Kindergeld bezieht, müssen ihr trotz der geringen Anzahl der Tagessätze zur Durchsetzung des Grundsatzes, dass ihr das zum Lebensunterhalt Unerlässliche verbleiben muss (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 10. Juni 2011 – 1 RVs 96/11 – [bei juris]), Zahlungserleichterungen gewährt werden. Der Senat kann diese zwingend gebotene Entscheidung im Revisionsrechtszug nachholen (vgl. BGHR StGB § 42 Zahlungserleichterungen 1, Bewilligung durch Revisionsgericht; Senat, Beschluss vom 6. März 2007 – [4] 1 Ss 61/07 [45/07] -; jeweils m.w.N.). Er erachtet eine monatliche Ratenzahlung von 50 Euro für angemessen. Die Festsetzung einer geringeren Höhe der einzelnen Raten war nicht geboten; denn Ratenzahlungen dürfen eine Geldstrafe nicht in ihrem Wesen verändern und müssen als ernstes Übel fühlbar bleiben (vgl. Fischer, StGB 59. Aufl., § 42 Rn. 10 m.w.N.).

2. Die gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung gerichtete zulässige sofortige Beschwerde der Angeklagten, mit der sie die vollständige Überbürdung der Kosten der Berufungsinstanz und ihrer dort entstandenen notwendigen Auslagen auf die Landeskasse erstrebt, hat im Wesentlichen ebenfalls Erfolg.

Das Landgericht stützt die angefochtene Entscheidung auf § 473 Abs. 1 StPO, da es zu Unrecht angenommen hat, die Berufung sei nicht erfolgreich gewesen. Die auf die Herabsetzung der Geldstrafe beschränkte Berufung der Angeklagten, mit der es ihr ersichtlich darauf ankam, eine Reduzierung der Geldstrafe zu erreichen, hat jedoch mit der Herabsetzung der Tagessatzanzahl um ein Viertel von 40 auf 30 Tagessätze Erfolg gehabt, so dass nach § 473 Abs. 3 StPO die Staatskasse die notwendigen Auslagen der Angeklagten und auch die (nicht ausdrücklich erwähnten) Kosten des Rechtsmittels (vgl. KG, Beschluss 22. März 2011 – 1 Ws 13/11 – m. w. N.) zu tragen hat. Dass der Verteidiger in der Eingangsinstanz eine Verwarnung mit Strafvorbehalt angestrebt hat, ist unerheblich, denn der Schlussantrag in der Berufungshauptverhandlung, der für die Ermittlung des Anfechtungszieles von Bedeutung ist, war auf die Herabsetzung der Geldstrafe gerichtet. Bei einer objektiven Betrachtung nach Art und Ausmaß der Strafmaßreduzierung hat die Berufung der Angeklagten eine erhebliche Milderung der Sanktion bewirkt, so dass es auch nicht darauf ankam, dass der Verteidiger keinen konkreten Antrag zur Strafmaßreduzierung gestellt hat.

Da die Angeklagte die Beschränkung jedoch erst nachträglich in der Hauptverhandlung vorgenommen hat, hat sie trotz des Rechtsmittelerfolges diejenigen Kosten und notwendigen Auslagen zu tragen, die bei einer von vornherein erklärten Beschränkung vermeidbar gewesen wären (vgl. KG, Beschluss vom 22. März 2011, aaO.).

3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung für das Revisionsverfahren beruht auf § 473 Abs. 1, Abs. 3 StPO, da die nachträgliche Beschränkung als Teilrücknahme zu werten ist (vgl. KG, Beschluss vom 22. März 2011 aaO.).

Die Kosten- und Auslagenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Keine MPU trotz 1,6 Promille oder mehr?

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2c Fahrerlaubnisverordnung (FeV) muss die Fahrerlaubnisbehörde eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) anordnen, wenn eine Trunkenheitsfahrt mit einer BAK von 1,6 Promille bzw. einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr festgestellt wurde. Bei dieser Entscheidung steht der Fahrerlaubnisbehörde kein Ermessensspielraum zu.

 

Hier stellt sich zunächst die Frage, auf welche Informationen die Fahrerlaubnisbehörde zurückgreifen kann bzw. darf.

 

Zunächst gilt gemäß § 3 Abs. 3 StVO, dass solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt, die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen darf. Danach ist die Behörde jedoch dazu befugt. Aufgrund dieser Feststellungen des Gerichts kann die Behörde anordnen, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist.

 

Aus § 3 Abs. 4 StVG geht allerdings hervor, dass nicht zum Nachteil des Straftäters vom Inhalt des Urteils abgewichen werden kann. Wenn also das Gericht den Wegfall der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen bejaht – den Straftäter somit als geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ansieht -, kann die Straßenverkehrsbehörde keine MPU anordnen.

 

Wer zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung

 

1. die erfolgreiche Teilnahme an einer individualpsychologischen Verkehrstherapie zur Rehabilitation alkoholauffälliger Kraftfahrer und

2. Alkohol-Abstinenz

 

nachweisen kann, hat trotz der Verwirklichung des Regelbeispiels des § 69 Abs. 2 Ziffer 2 StGB gute Chancen, das Gericht davon zu überzeugen, dass er zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist.

Bewährungsstrafe für Anästhesistin nach dem Tod von „Sexy Cora“

Urteil der Großen Strafkammer des Landgerichts Hamburg, Az. 632 KLs 6/12

 

Die Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg hat die Anästhesistin wegen fahrlässiger Tötung von „Sexy Cora“ zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten auf Bewährung verurteilt.

 

Im Rahmen einer Schönheitsoperation war es aufgrund von Sauerstoffmangel zu einem tödlichen Hirnschaden der Patientin Carolin Wosnitza gekommen.

 

Die Anästhesistin hatte nach Auffassung der Kammer fahrlässig im Sinne von § 229 StGB gehandelt, weil sie im Rahmen der Operation nicht für eine ausreichende Beatmung der Patientin gesorgt habe. Die mangelhafte Sauerstoffzufuhr habe die Ärztin nicht rechtzeitig bemerkt, da das akustische Alarmsignal des Überwachungsgerätes ausgeschaltet gewesen sei und die Ärztin die Vitalfunktionen auch nicht auf andere Weise, nämlich durch Blick auf den Überwachungsmonitor, ausreichend überprüft habe.

 

Zugunsten der Anästhesistin hatte die Kammer vor allem gewertet, dass sie als lediglich angestellte Ärztin auf die Organisationsstrukturen im Operationssaal letztlich keinen Einfluss gehabt habe. Ihr habe kein Anästhesieassistent zur Seite gestanden, sie habe sich deshalb nicht uneingeschränkt auf die Überwachung der Vitalfunktionen der Patientin konzentrieren können. Von der Verhängung eines Berufsverbots sah die Kammer ab.

 

Das Urteil ist rechtskräftig.